Pressematerial - Kurzfassung
Sozialreport 2004 - Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern
Herausgegeben durch Gunnar Winkler, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V.
Der Sozialreport 2004 beruht auf der im Jahr 2003 durchgeführten 14. Welle der seit 1990 jährlichen repräsentativen Erhebung unter Bürgern in den neuen Bundesländern zu ihren Befindlichkeiten, Wertorientierungen und Zufriedenheiten. In die Auswertung einbezogen wurden insgesamt 1 360 Frauen und Männer, die das 18. Lebensjahr erreicht hatten und zum Befragungszeitpunkt in den neuen Bundesländern einschließlich Ostberlin lebten. Hauptaussagen sind:
• Die Zeit einer raschen Angleichung der Lebensverhältnisse des Ostens an den Westen ist seit Mitte der 90er Jahre vorbei, die hohen Erwartungen, die mit dem Regierungswechsel 1998 an die rot-grüne Koalition verbunden waren, haben sich aus der Sicht der Mehrheit der Ostdeutschen nicht erfüllt. Die nach wie vor nicht erfolgte Angleichung der Lebensverhältnisse führt bei einer großen Mehrheit der Bürger zu dem Gefühl der kollektiven Abwertung erbrachter Lebensarbeitsleistung und nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung. Nach dem Stand der Angleichung befragt, gaben 1 % an, Ost und West seien weitgehend zusammengewachsen, 6 % sahen nur noch geringe Unterschiede zwischen Ost und West, 55 % sahen noch relativ große Unterschiede zwischen Ost und West, 15 % gingen von größer werdenden Unterschieden aus, 22 % nahmen an, dass es auch in 50 Jahren noch gravierende Unterschiede geben wird, die bis dahin nicht beseitigt sind, und 1 % gab keine Antwort.
• Im Jahr 2003 fühlten sich 73 % der Bürger der neuen Bundesländer mit Ostdeutschland stark bzw. ziemlich stark (40 %) verbunden, 62 % mit ihrer Gemeinde/Stadt, 58 % mit dem jeweiligen Bundesland und 38 % mit der Bundesrepublik. Befragt nach ihrer Selbstzuordnung und Identifikation mit dem bundesrepublikanischen System gaben im Jahre 2003 20 % der Bürger an, sich als Bundesbürger zu fühlen, 11 % (vor allem Arbeitslose) wollten die DDR wiederhaben, 65 % wollten weder die DDR wiederhaben noch fühlten sie sich als richtige Bundesbürger (4 % ohne Aussage bzw. trifft nicht zu).
• Im Jahre 2003 waren 21 % der Befragten mit ihren Zukunftsaussichten zufrieden, 34 % teilweise zufrieden und 40 % unzufrieden. Im September 2003 äußerten in Bezug auf die weitere Entwicklung nur 6 % vor allem Hoffnungen, 43 % vor allem Befürchtungen, 45 % antworteten mit sowohl als auch. 3 % antworteten mit "ich weiß nicht" und 4 % gaben dazu keine Antwort. Insgesamt wird bei den Erwartungen an die weitere Entwicklung in einzelnen Lebensbereichen - von den Bereichen Wohnen, Freizeit, Partnerschaft abgesehen - vor allem von weiteren Verschlechterungen ausgegangen. Das betrifft insbesondere die Lohn-Einkommens-Preisgestaltung (63 %), Gerechtigkeit (68 %), soziale Sicherheit (68 %) und Arbeit (68 % der 18- bis 59-Jährigen).
• Die allgemeine Lebenszufriedenheit sinkt in den neuen Bundesländern seit 2000 und erreicht im Jahre 2003 ihren Tiefpunkt. 3 % waren mit ihrem Leben alles in allem sehr zufrieden, 37 % zufrieden, 41 % teilweise zufrieden, 14 % unzufrieden und 4 % sehr unzufrieden (1 % ohne Antwort). Insbesondere in den Jahren 2002 und 2003 traten deutliche "Zufriedenheitsverluste" in allen Bevölkerungsgruppen auf.
• Von den Befragten bewerteten 2 % ihre wirtschaftliche Lage mit sehr gut, 28 % mit gut, 40 % mit teils gut/teils schlecht, 22 % mit schlecht und 8 % mit sehr schlecht (0,4 % ohne Antwort). Rd. 45 % der Befragten stellten für sich eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Vergleich zu vor fünf Jahren fest, nur 13 % hoben eine Verbesserung hervor.
• Seitens der Bürger besteht fast durchgängig die Auffassung, dass die jetzt vorliegenden Reformansätze mehrheitlich nicht den sozial Bedürftigen dienen, sondern eine Umverteilung finanzieller Mittel zu Gunsten von Wirtschaft, Versicherungen und Unternehmen sind. Die Bürger sehen vor allem in der Sanierung der Staatsfinanzen das vorrangige Anliegen der Sozialreform (56 %) sowie in den Interessen der Kassenvereinigungen (45 %) und Versicherungen (46 %). Das heißt, ein Sozialumbau zu Gunsten spezifischer Lebenslagen bzw. des Erhalts sozialer Sicherungsleistungen wird im Ergebnis durchgeführter Diskussionen kaum in die Betracht gezogen (Familien mit Kindern - 9 %, Rentner - 7 %, Arbeitnehmer - 6 %).
Ohne sich sozialen Reformen zu verweigern, werden die von der Bundesregierung in Gang gesetzte Rentenkürzung, langfristige Reduzierung des Rentenanstiegs und damit weitere Abkoppelung von der Lohnentwicklung, Nullrunde 2004, Abbau der Lebensstandardsicherung durch gesetzliche Rente nicht als soziale Rentenreform, sondern als Umverteilung von unten nach oben bewertet. So votieren 78 % der Befragten für eine Ausdehnung des Kreises der Beitragszahler auf alle Erwerbstätigen. Hinsichtlich des Renteneintrittsalters sollte nach Ansicht von 45 % der Befragten der Wechsel aus dem Erwerbsleben in die Rente individuell entschieden, aber vor dem 65. Lebensjahr mit Abschlägen belegt werden. 30 % befürworten einen Renteneintritt grundsätzlich erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres, aber nur, wenn allen, die wollen, auch ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht.
• Die durchschnittlichen individuellen Nettoeinkommen lagen nach der SFZ-Untersuchung "Leben in den neuen Bundesländern 2003" bei 940 Euro pro Monat. Sie differieren stark nach der Art der Erwerbsbeteiligung und nach Geschlecht. Die Nettoeinkommen sind gegenüber dem Vorjahr um 5 % gesunken, die von Frauen noch stärker um 7 %. Die durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen wurden bei 1.690 Euro ermittelt. Die Einkommenspositionen von Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden haben sich erneut verschlechtert. Aus Ersparnissen bzw. Geldanlagen fließen den Haushalten finanzielle Mittel nur in begrenztem Umfang zu. 47 % der Haushalte sind durch Kredite belastet. Armutsentwicklungen in den neuen Bundesländern sind sowohl zeitweilig auftretende Notlagen - z. B. bei Arbeitslosen, Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, Alleinerziehenden - als auch dauerhafte, aus eigener Kraft nicht mehr umkehrbare Lebenslagen, z. B. bei Rentnern. Die Betroffenheit von Einkommensarmut lag bei 11 %.
• Zwei Drittel der ostdeutschen Frauen fühlen sich hinsichtlich der Gleichberechtigung und Gleichstellung benachteiligt .
• Nur 6 % der Befragten waren 2003 mit dem eigenen politischen Einfluss sehr zufrieden bzw. zufrieden. Kein bzw. wenig Vertrauen gegenüber dem Bundestag bzw. der Bundesregierung geben 61 bzw. 65 % an.
Sperrfrist : 27. Februar 2004, 10.00 Uhr