50 Jahre
SGB VI – ein Grund nicht nur zum Feiern
Am 21.
Januar 1957 wurde das „Gesetz zur Neuregelung der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung"
im Bundestag verabschiedet. Damit wurde in Verwirklichung
des Sozialstaatsgebots nach Artikel 20 des
Grundgesetzes und von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erstmalig in der BRD ein umfassendes und in sich geschlossenes gesetzliches Regelsystem für die Rente geschaffen. Die Einführung des Umlagesystems - die Renten werden durch paritätische Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitsgeher und durch Zuschüsse des Staates finanziert - schuf eine stabile und zuverlässige
Grundlage für die Finanzierung der
Rente. Erstmalig wurde auch der im
Arbeitsleben erarbeitete Lebensstandard durch die Anpassung der Rente - wie man bürokratisch formuliert: in der Nacharbeitsphase bzw.
als Lohnersatzleistung - gewährleistet.
Diese echte Reform der gesetzlichen Rentenversicherung
bildet auch heute noch, als Sozialgesetzbuch
(SGB) VI, die Grundlage der gesamten Rentengesetzgebung. Die Reform war auch international eine beispielgebende sozialpolitische Leistung. Damals stand die Bundesrepublik,
ökonomisch gefestigt, im unmittelbaren politisch-ideologischen
Wettbewerb mit dem Sozialismus an ihrer
Landesgrenze. Deshalb waren beispielgebende soziale Leistungen sowohl möglich als auch angebracht.
Das
50-jährige Jubiläum kann leider nicht nur
gefeiert werden. Zu stark ist die Abkehr von den
Grundsätzen des Gesetzes von 1957, die von den Regierungen Kohl. Schröder und Merkel unter ihren Sozialministern Blüm, Riester und
Müntefering durchgesetzt wurden. Am
deutlichsten wird dies, wenn man die Zielstellung von damals und heute
vergleicht.
Standardrente und
Anpassungsformel - können
sie Altersarmut vermeiden?
Als
Zielsetzung bei der Bestimmung der
durchschnittlichen Rentenhöhe (Fachbegriff:
Standardrente) galten
1957 und bis in die 90er Jahre 70 Prozent des vorherigen
durchschnittlichen Arbeitseinkommens. Bei
Blüm begann die Reduzierung durch
Streichungen mit dem „demo('graphischen Faktor" und der Einführung
von Rentenabzügen bei vorgezogenem
Rentenbeginn. Bei Biester wurde die Höhe der durchschnittlichen Rente bereits auf 51 Prozent heruntergesetzt.
Seit den 90er Jahren wurden eine Unzahl von
Bestimmungen zur weiteren Kürzung des Rentenanspruchs durchgesetzt. Mit dem irreführenden Begriff „Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlage der
gesetzlichen Rentenversicherung" vom 21.
Juli 2004 wird
nunmehr vorausgesagt dass die Durchschnittshöhe der
Rente im Jahr 2020 auf 46 Prozent Lind 2030 sogar auf 43 Prozent sinkt. Das Gesetz über die Rente mit 67 sieht den frühestmöglichen Beginn der Rente - dann natürlich mit Bern Höchstabzug von 14,4
Prozent - auf das 63. Lebensjahr vor. Wer das nicht erreichen kann, wird mit zusätzlicher Arbeitslosigkeit bestraft. Das
bringt nicht nur nochmals beträchtlich
weniger Einkommen oder - wenn der Ehepartner Einkommen hat - sogar keinerlei Arbeitslosengeld, sondern auch einen geringeren Zuwachs an Rentenentgeltpunkten. Im übrigen wird erwartet, dass künftig mehr als die Hälfte dessen, was zu einem auskömmlichen Altersunterhalt notwendig ist, über
die Riesterrente oder andere kapitalgestützte und während des Arbeitslebens ersparte Anlagen zusammenkommen soll. Wer dazu nicht in der Lage ist, muss, so die brutale Aussicht, Altersarmut ertragen.
Rente Ausdruck sozialer
Gerechtigkeit?
Der damalige
Arbeitsminister Anton Storch erklärte am
27. Juni 1957 im Bundestag: „Es
entspricht unserer heutigen
Auffassung von der Würde des Menschen und seiner Arbeit, wenn wir uns bemühen,
ein Auseinanderfallen von
Verdienenden und Nichterwerbstätigen zu beseitigen
und für die Zukunft zu verhindern. Wir müssen dabei helfen, dass sichergestellt
wird, dass jeder Rentenbezieher am Aufstieg seines Standes oder seines Berufes
teilnimmt und zwar nach Maßgabe seiner
individuellen Position im Sozialgefüge, die er sich und den Seinen während der Dauer seines Arbeitslebens erarbeitet hat. Wenn wir uns
vergegenwärtigen, dass die alten Menschen in
der Zeit, als sie selbst noch im arbeitsfähigen
Leben standen, das Ihrige zur Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse beigetragen haben und dass die gegenwärtige schaffende Bevölkerung zum Teil von ihren Vorleistungen zehrt, dann ist es, glaube ich, selbstverständlich, dass auch sie im Ruhestand an den Früchten der
gemeinsamen Anstrengungen der Generationen teilhaben. Die Sicherstellung
des einmal erworbenen Lebensstandards ist
dann nicht ein Akt der Barmherzigkeit seitens der jeweiligen Erwerbstätigen oder gar des Staates, sondern die Erfüllung einer geschuldeten Pflicht und der Ausdruck einer von den Umständen begründeten Solidarität zwischen den
Generationen."
Heute erklärt der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, dagegen, die Zielsetzung der Rentenpolitik sei nicht mehr auf „die
Lebensstandardsicherung in der Nichterwerbsphase", sondern auf „die Beitragsstabilisierung" ausgerichtet. Damit, so erklärt Herr Rische unverfroren,
gelten „Armutsvermeidung, Anerkennung der
Lebensleistung im Alter, Vermeidung zu großer Einkommensunterschiede Älterer, sowie der Ausgleich zwischen Frauen und Männern" nicht mehr als Grundsätze der solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung. Eine „ungeschminkte
Standortbestimmung" müsse von der
„Neugewichtung und Veränderung der
Rolle der gesetzlichen Rentenversicherung" als nur „einer der drei Säulen des Einkommens im Alter" ausgehen. Welch ein Gegensatz zur Erklärung des
Sozialministers 1957!
Mit
der jetzt gültigen Anpassungsformel sinkt der
Realwert der Rente
Bereits ab 2004 bilden gemäß der neuen Anpassungsformel nicht mehr die Lohn- und Gehaltserhöhungen der Erwerbstätigen
die Grundlage für die Berechnung der
Rentenanpassung, sondern die Zahl der Rentner wird der Zahl derer, die
einen Beitrag in die gesetzliche Rentenversicherung leisten, und der Höhe ihrer Einzahlungen gegenübergestellt. Damit sind nunmehr die niedrigen
Einkommen und die geringen Beiträge der Arbeitslosen für die Anpassungsrate bestimmend.
Auch die weiterhin hohe Zahl von Rentnern
mit frühzeitigem Rentenbeginn verursacht
eine geringere Steigerungsrate. Die
Einkünfte der Empfänger von Hartz. IV und die Ein-Euro-Jobs
mindern ebenfalls sowohl die Berechnungsgrundlage für die Rentenanpassung der
gegenwärtigen Rentner, wie auch die Rentenhöhe dieser künftigen Rentner. Entsprechend
der derzeitigen Höhe des Arbeitslosengeldes lI werden z.B. bei der
Rentenberechnung lediglich 0,064
Entgeltpunkte pro Jahr angerechnet,
das ergibt nur 1,47 € pro Jahr und würde bei 45 Versicherungsjahren mit solch geringem Einkommen das katastrophale
Ergebnis einer monatlichen Rente (nach gegenwärtigem Rentenwert) von
lediglich 66,12 € ergeben. Der unumgängliche Ausweg wäre dann der Bezug von
Leistungen der Grundsicherung.
Auch das
Gesetz über die Rente mit 67 geht im Gegensatz zu den propagandistischen
Schönredereien der Regierungsvertreter davon aus, dass mit der
Anhebung der Regelaltersgrenze eine Rentenkürzung von etwa 7 Prozent erfolgt.
Aber nicht nur der erarbeitete Rentenwert, im Rentenbescheid
ausgewiesen durch die Entgeltpunkte, sinkt, sondern auch der Realwert
der Rente.
Wird es 2007 eine Rentenanpassung
geben?
Nunmehr schon drei Jahre gab es
keine Rentenanpassung und es ist immer noch
unklar, ob es in diesem Jahr eine Dynamisierung der Rente geben wird. In
den Medien werden dazu gegensätzliche Meinungen publiziert. Keine Erhöhung
würde bedeuten, dass bei der seit 2003
gleichen Bruttorente sogar eine Reduzierung des Zahlbetrages durch die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge erfolgt. Von regierungsnahen Rentenexperten wurde
auch bereits die Meinung vertreten, dass es selbst 2008 keine Rentenanpassungen geben kann. Darüber hinaus wird im „Gesetzentwurf Rente mit
67" die Anpassungsformel weiter verschlechtert,
indem die durch das Nachhaltigkeitsgesetz
„in den Jahren 2004 und 2005 nicht vorgenommenen Senkungen der Bruttorenten" sich ab 2001 als "Anpassungsdämpfung" auf dann eventuell mögliche Rentenanpassungen
auswirken werden. Der errechnete Wert
einer Rentenerhöhung soll dann
jeweils nur halbiert ausgezahlt werden. So sinkt die durch Fleiß und Mühe erarbeitete Rente in ihrem Realwert ständig weiter ab. Der Paritätische
Wohlfahrtverband schätzte kürzlich
ein: "Eine Rentenerhöhung wird in
diesem Jahrzehnt aller Voraussicht
nach nicht mehr stattfinden.
Stattdessen werden die Renten wie bereits in den vergangenen Jahren bei steigenden Lebenshaltungskosten
weiter an Kaufkraft verlieren. Selbst bei einer verbesserten Lohnentwicklung im
nächsten Jahrzehnt werden ‚Nachholfaktor’ bzw. ‚modifizierte Schutzklausel’ bewirken, dass mögliche Rentenerhöhungen bestenfalls außerordentlich moderat
ausfallen werden. Als fast ausgeschlossen
kann gelten, dass sie im Trend den
Kaufkraftverlust kompensieren können." Die Schlussfolgerung des Wohlfahrtverbandes können wir allerdings nicht akzeptieren. Er geht davon aus, dass eine Koppelung der Rentenentwicklung an die die Sozialhilfe
ersetzende Grundsicherung unlogisch und
kontraproduktiv sei. Deshalb fordert
dieser Verband lediglich eine Anpassung der Regelsätze der Grundsicherung an die Entwicklung der
Lebenshaltungskosten. Auf Rentenanpassung
besteht dieser Verband also schon
nicht mehr. Seiner Berechnung nach sinkt der Realwert einer Rente im Osten, die 2003 in Höhe von 954 € gezahlt wurde, 2010 auf 827 und 2015 auf 755 €. Der
niedrigere Rentenwert Ost ist für diesen
Sozialverband gegenwärtig noch immer
kein Thema. Im „Gesetz Rente mit
67" wird behauptet, dass man mit 45 Versicherungsjahren ohne Abzug in die Regelaltersrente gehen könne. Es wird aber nicht erklärt, wie man bei der aktuellen Arbeitsmarktsituation diese 45 Jahre erreichen kann. Deshalb droht bei Beibehaltung der gegenwärtig gültigen Regeln für etwa die Hälfte der Versicherten, im Jahre 2020 eine Rente unterhalb der Armutsgrenze Wirklichkeit zu werden. Bereits jetzt reichen 35 Arbeitsjahre mit durchschnittlichem
Verdienst gerade noch, um eine Minimalrente
zu erreichen. Bei der heutzutage
üblichen unstetigen Arbeitsbiographie
durch nicht angerechnete Ausbildung,
Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Teilzeitarbeit, dem erzwungenen Vorruhestand usw. sind die 45
Versicherungsjahre sowieso nur im
Ausnahmefall zu erreichen.
Zusammenfassend
müssen wir einschätzen, dass das 50-jährige Jubiläum der Rentenreform von 1957 kein reines Freudenfest sein kann. Allerdings
sollten wir auch nicht die positiven Seiten
des SGB VI übersehen. Die
gesetzliche Rentenversicherung bietet nach wie vor Sicherheit bei der
Erwerbsunfähigkeit und bei der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durch
geeignete Rehabilitationsmaßnahmen. Sie sichert gegenüber der privaten
Versicherung zuverlässig die garantierten
Leistungen. Wie die Wirtschaftskrisen
Ende der 20er-Jahre, des letzten
Jahrhunderts und die Weltkriege zeigten, war nur die gesetzliche Rentenversicherung in der Lage die Mittel zur Existenzsicherung weiterhin zu zahlen. Private Versicherungen
unterliegen ausschließlich den Gesetzen des
Kapitalmarktes und können insofern
weder einen sozialen Charakter haben
noch eine wirkliche Garantie der
Leistungen geben. Dass die Renten
aus dem Umlageverfahren finanziert
werden, ist nicht nur der bewährte, sondern auch der beste Weg zur Durchsetzung der Generationengerechtigkeit.
Leider besteht aber die
Befürchtung, dass die gegenwärtigen gesetzlichen
Bestimmungen und die Bedingungen des Arbeitsmarktes für eine große Zahl von Versicherten weder bei der Altersrente noch der Erwerbsunfähigkeitsrente einen auskömmlichen Lebensstandard, der einigermaßen dem ihres Arbeitslebens entspricht, sichert. Damit
besteht für sie die Gefahr, dass ihr
Lebensabend in Würde nicht mehr
möglich ist. Die offizielle Politik geht davon aus: wer nicht in der Lage ist, zusätzliche Sicherungen für das Alter aufzubauen, steht vor der Altersarmut Dies war absolut nicht das Ziel des Gesetzes von 1957. Heute
glauben die Herrschenden, dass die
Volksmassen jeden Sozialraub
hinnehmen und sie die Gewinnmargen ohne Massenwiderstand weiter erhöhen können. Das empfinden
sicherlich nicht nur wir als
unerträglich. Deshalb werden wir dagegen
mit allen uns zur Verfügung stehenden
Mitteln kämpfen. Alles, was der
Durchsetzung unserer Forderungen, ob
auf dem Gebiet der Rente, im Gesundheitswesen oder den vielen anderen Gebieten des Kampfes um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, was
der Würde unseres Lebens sowie der
Arbeit und dem Wohlstand unserer
Kinder und Enkel dient, beschneidet
zugleich diese kapitalistische
Raffgier und bringt uns wieder näher an die ursprünglichen Ziele des Gesetzes von 1957 heran. Wir ändern damit nicht die Gesellschaftsordnung, sondern
bewirken die Einhaltung des Grundgesetzes
und das ist wohl unser unverbrüchliches Recht!
W.K.
Quelle:akzente
03/2007; Monatszeitschrift der GBM