Rentenangleichung Ost

 

Aus der

Dokumentation des Workshops am 17.7.2006

 

ver.di-Vorschlag: Der Angleichungszuschlag im Stufenmodell

 

Sozialpolitischer Vorschlag eines Stufenmodells zur Umsetzung

 

 

1.                Ausgangslage

Seit dem Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18.5.1990 gilt in den alten und neuen Bundesländern ein unterschiedliches Rentenrecht. Für den Zeitraum des Angleichungsprozesses gelten für die Rentenberechnung unter­schiedliche Werte, insbesondere bei der Ermittlung der Entgeltpunkte und beim ak­tuellen Rentenwert. Die Werte betragen in 2006:

 

Alte Bundesländer

Neue Bundesländer

Aktueller Rentenwert

(aRw, seit 1.7.2003 unverändert);

der aRw Ost liegt bei rd. 87,9 % des aRw West

26,13€

22,97€

 

 

 

Höherwertungsfaktor nach Anlage 10 zum SGB VI

(vorläufig) zur Ermittlung der Entgeltpunkte Ost

___

1,1932

 

 

 

Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung 2006

63.000,00 € jährt.

52.800,00 € jährt.

 

5.250,00 € mtl.

4.400,00 € mtl.

 

Nach den Regelungen des Rentenüberleitungsgesetzes erfolgt die Anpassung des aktuellen Rentenwertes (aRw) Ost bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensver­hältnisse (§§ 255 a, 228 b SGB VI) in Anbindung an die Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern.

 

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Angleichung der Einkommensver­hältnisse in den neuen Bundesländern wesentlich langsamer vollzieht als zu Beginn des Einigungsprozesses angenommen, fordert ver.di, die Angleichung der aktuellen Rentenwerte durch gezielte Maßnahmen unabhängig von der Entwicklung der Löhne und Gehälter herbeizuführen, zumal sich die Lebenshaltungskosten zwischenzeitlich weitgehend angeglichen haben. Die Fortführung des jetzigen Anpassungsprozesses hätte zur Folge, dass die Angleichung des aktuellen Rentenwertes Ost an West nach derzeitigen Schätzungen nicht vor dem Jahr 2030 erreicht wer­den könnte. Viele Rentnerinnen und Rentner würden dann die Vollendung der deut­schen Einheit im Rentenrecht nicht mehr erleben.

Zur Angleichung des Lebensstandards der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern an das Westniveau wird seit längerem diskutiert, ob eine „vorzeitige" Vereinheitlichung der unterschiedlichen Werte in Ost und West zu einem gesetzlich festzulegenden Stichtag angezeigt ist, obwohl der Aufholprozess zu die­sem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen wurde. Eine Vereinheitlichung der Werte auf Westniveau hätte zwar zur Folge, dass der aktuelle Rentenwert-Ost auf den Westwert angehoben würde; konsequenterweise müssten ab diesem Stichtag dann aber auch die Beitragsbemessungsgrenze-Ost auf den Westwert angehoben und der Höherbewertungsfaktor der Anlage 10 zum SGB VI für künftige Beitragszeiten in den neuen Bundesländern entfallen. Insbesondere der Wegfall der Höherbewertung hätte für die Beschäftigten in den neuen Bundesländern erhebliche Nachteile, denn sie würden bei gleichen Bruttoarbeitsentgelten erheblich weniger Entgeltpunkte erwerben als nach heutigem Recht. Die Höherbewertung der Ost-Entgeltpunkte ist daher vor allem in Niedriglohngebieten der neuen Bundesländer - nach wie vor - unverzichtbar, um Altersarmut einzuschränken.

Darüber hinaus ergäben sich bei einer „vorzeitigen" Anhebung des aktuellen Ren­tenwerts-Ost negative Verteilungswirkungen für die heutigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West, denn die Rentensteigerungen würden zu er­höhten Rentenausgaben führen, die - ohne weitere gesetzliche Neuregelungen - vor allem mit einer Erhöhung des Beitragssatzes und damit mit einer zusätzlichen Be­lastung der Versicherten und ihrer Arbeitgeber verbunden wären.

Durch das Ansteigen der Rentenausgaben wären im Übrigen auch alle Rentnerinnen und Rentner in Ost und West insoweit belastet, als infolge des steigenden Renten­volumens der Nachhaltigkeitsfaktor verstärkt zur Minderung der jährlichen Rentenanpassung führen würde.

 

Als Fazit kann festgehalten werden, dass sich eine „vorzeitige" Vereinheitlichung der unterschiedlichen Werte in Ost und West zwar zugunsten der heutigen Rentnerinnen und Rentner-Ost auswirken würde, für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West und für die Rentnerinnen und Rentner-West aber mit negativen Folgen verbunden wäre. Insgesamt sollte deshalb nicht zu früh in den Aufholprozess eingegriffen und vielmehr überlegt werden, ob eine Verbesserung der Einkommenssituati­on der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern erreicht werden kann, ohne zugleich die Versicherten und sonstigen Rentnerinnen und Rentner zu belasten.

II.               Beschlusslage in ver.di

Der 1. ordentliche Bundeskongress 2003 hat in seinem Grundsatzantrag B 302

„Alterssicherung sozial gestalten" dies aufgegriffen und Folgendes beschlossen: „ver.di unterstützt unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten die Forderung nach Anhebung des aktuellen Rentenwertes Ost auf Westniveau in einem Stufenplan und damit eine Verbesserung der Einkommenssituation der Renterinnen und Rentner in den neuen Bundesländern. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die Finanzierung

·          nicht zu Lasten einer Erhöhung des Beitragssatzes, und damit zu Lasten der Be­schäftigten Ost und West, erfolgt. Vielmehr muss die Anhebung steuerfinanziert werden.

·          Auch darf die Finanzierung nicht einseitig durch die Rentnerinnen und Rentner in den alten Bundesländern durch eine Absenkung des aktuellen Rentenwertes West auf einen gesamtdeutschen aktuellen Rentenwert erfolgen.

·          Schließlich muss die Abschaffung der Höherbewertung und die damit verbunde­nen künftig geringeren Renten der heutigen Ost- Beschäftigten vermieden wer­den­

 

III.          Modell zur Umsetzung des ver.di-Beschlusses

Zur Umsetzung des ver.di-Beschlusses (Anhebung der Ost-Rente auf Westniveau ohne negative Auswirkungen für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West und die Rentnerinnen und Rentner West) ist es erforderlich, die Auswir­kungen des niedrigeren aktuellen Rentenwerts-Ost anzugleichen, ohne in die sonsti­gen Rechengrößen (Höherbewertungsfaktor der Anlage 10 zum SGB VI, Beitragsbemessungsgrenze-Ost) einzugreifen.

Dies könnte zum 1.7.2007 durch die Einführung eines so genannten Anglei­chungszuschlags erfolgen, der als zusätzliche Leistung (ähnlich dem Auffüllbetrag, dem Rentenzuschlag oder dem Übergangszuschlag, vgl. hierzu §§ 315 a, 319 a, 319 b SGB VI) gezahlt wird und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung vom Bund zu erstatten ist (vgl. hierzu § 291 c SGB VI).

Der Angleichungszuschlag besteht aus der Summe der Erhöhungsbeträge, die für jeden bis zum 31.12.2006 erworbenen Entgeltpunkt-Ost zu zahlen sind. Mit dem Erhöhungsbetrag soll die Wertdifferenz zwischen einem Entgeltpunkt-Ost (22,97 €) und einem Entgeltpunkt-West (26,13 €) ausgeglichen werden; nach heutigem Werten beträgt der Wertunterschied 3,16 €.

Soll der Ausgleich des heutigen Wertunterschieds (3,16 €) nicht einmalig im Jahr 2007, sondern abgestuft in den Jahren 2007 bis 2016 erfolgen, müssten pro Jahr ein Zehntel des heutigen Wertunterschieds abgebaut werden. Für einen Entgelt­punkt-Ost würde der Erhöhungsbetrag dann auf folgende Werte ansteigen:

 

Jahr (jeweils ab 1.7.)

Erhöhungsbetrag pro EP-Ost

2007

0,32€

2008

0,63€

2009

0,95€

2010

1,26€

2011

1,58€

2012

1,90€

2013

2,21 €

2014

2,53€

2015

2,84€

2016

3,16€

 

Unterstellt, ein 1997 in die Rente eingetretener Rentner hat insgesamt 40 Entgeltpunkte-Ost erworben, würde für ihn der Angleichungszuschlag monatlich ab 1.7.2007 12,80 €, ab 1.7.2008 25,20 € und ab 1.7.2016 126,40 € betragen. Diese Beträge sind jedoch zu vermindern, wenn der Aufholprozess in den neuen Ländern wieder dazu führt, dass sich der Wertunterschied zwischen einem Entgeltpunkt-Ost und einem Entgeltpunkt-West im Zuge der „normalen" jährlichen Anpassungen weiter vermin­dert, weil der aktuelle Rentenwert-Ost wieder stärker als der aktuelle Rentenwert­West erhöht wird. Die Berücksichtigung der jährlichen Anpassungen des aktuellen Rentenwerts-Ost (§ 255 a SGB VI) bei der jährlichen Festlegung der Erhöhungs­beträge kann im Zusammenhang mit der Rentenanpassung durch Rechtsverord­nung (Anpassungsverordnung) erfolgen. Nach Ablauf von zehn Jahren ist dann der volle Angleichungszuschlag aufgebaut und solange als zusätzliche Leistung zur Rente der Berechtigten mit Entgeltpunkten-Ost zu zahlen, bis eine Vereinheitlichung der Werte in Ost und West vorgenommen werden kann.

Die Kosten des Angleichungszuschlags sind den Trägern der Rentenversiche­rung vom Bund zu erstatten. Die Steuerfinanzierung ist sachgerecht, weil es sich bei der zusätzlichen Leistung für Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundes­ländern um eine einigungsbedingte Ausgleichszahlung handelt, die in den gesamt­gesellschaftlichen Verantwortungsbereich fällt. Die Aufwendungen betragen im ersten Jahr (1.7.2007 bis 30.6.2008) voraussichtlich 600 Mio. €. Sie werden sich im zweiten Jahr (1.7.2008 bis 30.6.2009) nahezu verdoppeln und bis zum 1.7.2016 (Beginn der letzten Stufe der Angleichung) weiter ansteigen. Die genaue Entwicklung der Erstattungsbeträge ist schwer abschätzbar, weil die lohnbezogenen Anpassun­gen des aktuellen Rentenwerts-Ost die Aufwendungen für den Angleichungszu­schlag vermindern. Mindernd wirkt sich auch die übergangsrechtliche Ausgestaltung in Form der Beschränkung der zu erhöhenden Entgeltpunkte-Ost auf den Stichtag 31.12.2006 aus; denn bei neu zugehenden Renten wird sich die Zahl der bis zum 31.12.2006 erworbenen Entgeltpunkte-Ost zunehmend vermindern.

Die Erstattung der Aufwendungen für den Angleichungszuschlag hat im Übrigen zur Folge, dass die Erhöhung der Rentenausgaben nicht bei der Ermittlung des Nach­haltigkeitsfaktors (§ 268 Abs. 4 SGB VI) zu berücksichtigen ist und sich daher nicht anpassungsmindernd zu Lasten der Rentnerinnen und Rentner in Ost und West auswirken kann.