Aus Aktiv im Ruhestand Januar/Februar 2007

 

Neuregelung verfassungswidrig

 


Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin zur AAÜG-Korrektur

 

(Ba) Das Sozialgericht Berlin hält auch die letzte Korrektur des AAÜG durch den Gesetzgeber für verfas­sungswidrig und hat das Bundesver­fassungsgericht angerufen. Damit wird das oberste Gericht erneut da­rüber zu entscheiden haben, ob der Gesetzgeber Renten verringern darf, weil ein Rentner in der DDR eine he­rausgehobene berufliche Position hatte.

Endlose Geschichte

 

Das ist ein neues Kapitel in der immerwährenden Geschichte um die Kürzung von Renten für die an­geblichen „Stützen" des DDR-Regi­mes, über die in dieser Zeitschrift mehrfachausführlich berichtet worden ist. Wiederholt hat der bundes­deutsche Gesetzgeber versucht, die deutsche Vergangenheit aufzuar­beiten, in dem er Mitbürgern, die in der DDR eine hohe Position beklei­deten, die Rente kürzte. Das hat das Bundesverfassungsgericht inzwi­schen mehrfach beanstandet. In sei­nen Entscheidungen hat es klarge­stellt, dass Rente zu bezahlen ist nach der Arbeitsleistung, nicht nach dem Charakter des Beziehers. Bei­spiel: Wer als Beamter seine Frau umbringt, der verliert seinen Status und damit auch den Anspruch auf die Pension. Gleichzeitig wird er ent­sprechend seinem Verdienst in der Rente nachversichert. Gehörte er zum höheren Dienst, dann erhält er für diese Zeit die höchstmögliche Rente.

Nur in einem Punkt hat das Bundesverfassungsgericht eine Einschrän­kung gemacht:

Privilegien, die ein­zelne Gruppen in der DDR bei der Vergütung gehabt haben sollten, dürfen abgeschöpft werden.

Der Vorteil, den jemand ohne Gegenleis­tung während der Berufstätigkeit in der DDR hatte, muss sich nicht noch bei der Rente fortsetzen. Wobei noch zu überlegen wäre, wer nachzu­weisen hat, ob eine Überzahlung in DDR-Zeiten vorlag und wie hoch sie ausgefallen ist.

Kein Anknüpfen an Funktion

 

Anstatt dazu Material zu sammeln, hat der Gesetzgeber, vom Bundes­verfassungsgericht zu einer neuer­lichen Korrektur gezwungen, die Kürzung beibehalten, nunmehr an­knüpfend an die Funktion, die der Rentenbezieher in der DDR inne hat­te. Gekürzt werden ehemalige Mit­glieder des Politbüros, SED-Sekretä­re bei der Kreisleitung, aber auch je­der Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwalt­schaft. Zur Begrün­dung hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass die Renten der Mitarbeiter der Staatssicherheit noch von der Volkskammer verrin­gert worden sind, weil das MfS „pri­vilegiert" war. Da könne es nicht an­gehen, dass diejenigen, die den Sta­si-Mitarbeitern die Befehle gege­ben haben, ihre Rente unge­kürzt erhal­ten. Geklagt hat ein ehemaliger Minister aus dem Landwirtschaftsbereich, der der Bauernpartei angehör­te und in einem „Plattenbau" gelebt hatte. Seine Rente liegt derzeit bei 1.179,45 Euro.

Nach Ansicht des Sozialgerichts ist die Kürzung zu Lasten der aufge­zählten Personengruppen willkür­lich, zumal sie nicht den Vorgaben des Bundesverfas­sungsgerichts ent­spricht.

Im Hinblick auf die Gehalts­struktur der DDR habe der Gesetz­geber, wie unstreitig sei, keinerlei Untersuchungen angestellt. Also könne er nicht einfach unterstellen, die genannten Personen seien privi­legiert gewesen. Als Minister habe der Kläger in der DDR höchstens knapp 3.500 Mark erhalten. Der Klä­ger sei aber auch nicht weisungsbe­fugt gegenüber den Mitarbeitern des MfS gewesen. Kein Fachminister, so wird im Vorlagebeschluss des So­zialgerichts Berlin nachge­wiesen, konnte den Mitarbeitern der Staats­sicherheit Weisungen erteilen.

Eindeutige-Antwort

 

Damit werden die schwerwiegen­den Bedenken, die der BRH auch ge­gen diese Kürzungsregelung früh­zeitig geltend gemacht hat, wieder einmal bestätigt. Ein Gericht darf ei­nen bei ihm anhängigen Rechts­streit nur aussetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vor­legen, wenn es von der Verfassungs­widrigkeit der gesetzlichen Rege­lung überzeugt ist, Zweifel genügen nicht. Das Sozialgericht Berlin hat die Neuregelung streng an der Rechtsprechung des Bundesverfas­sungsgerichts gemessen. Karlsruhe hatte kürzlich eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde zurückge­wiesen, damit zunächst der Rechts­weg ausgeschöpft werde (vgl. Nr. 9/2006, S. 6). Das wurde auch damit begründet, dass erst die Sozialge­richte prüfen mögen, ob die Neure­gelung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über­einstimme. Nach Ansicht des Sozial­gerichts Berlin fällt die Antwort ein­deutig aus (Az. beim Bundesverfas­sungsgericht: 1 BvL 9/06).