Gesine Lötzsch zum Thema: Unrechtsstaat

Auszug aus ihrer Gastkolumne im ND vom 6/7.12.2008

 

...Ich stelle das verordnete DDR-Geschichtsbild insgesamt infrage. Ich verteidige nicht trotzig die DDR, nein, ich habe eine sehr kritische Sicht. Das heißt aber nicht, dass ich alles nachplappere, was mir von sogenannten DDR-Experten aufgetischt wird. Ich stelle infrage und möchte regierungsamtliche Antworten. Ich habe die CDU-geführte Bundesregierung am 7. Oktober 2008 gefragt, ob China aus der Sicht der Bundesregierung ein Unrechtsstaat sei? Nach der gruseligen Olympiaberichterstattung von ARD und ZDF war ich mir sicher, dass die Bundesregierung China als Unrechtsstaat betrachtet. Die Antwort: »Aus Sicht der Bundesregierung bemüht sich die chinesische Regierung im Rahmen ihrer Reform- und Öffnungspolitik um den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen.« China ist also kein Unrechtsstaat?

Daraufhin fragte ich, welche Staaten aus der Sicht der Bundesregierung Unrechtsstaaten sind. Ich erwartete eine lange Liste von Staaten, wie z. B. Simbabwe oder Iran, doch ich bekam keine Liste, sondern folgende Antwort: » Den Begriff ›Unrechtsstaat‹ gibt es im Völkerrecht nicht.« War denn wirklich nur die DDR ein Unrechtsstaat? Vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags wollte ich wissen, wie der Begriff »Unrechtsstaat« definiert ist. Hier ein Auszug aus dem Gutachten: »Eine wissenschaftlich haltbare Definition des Begriffs ›Unrechtsstaat‹ gibt es weder in der Rechtswissenschaft noch in den Sozial- und Geisteswissenschaften.« Und weiter: » … es (geht) zumeist darum, die politische Ordnung eines Staates, der als Unrechtsstaat gebrandmarkt wird, von einem rechtsstaatlich strukturierten System abzugrenzen und moralisch zu diskreditieren.«

Das sind klare Worte.

Die CDU hat nicht nur Schwierigkeiten, immer wieder ihre eigene Geschichte zu übertünchen und weich zu zeichnen, sie hat auch Schwierigkeiten mit ihrem Schlüsselbegriff zur Beschreibung der DDR .Der „Unrechtsstaat“ ist ein propagandistischer Kampfbegriff, der nicht aufklären, sondern brandmarken soll. Wenn wir in der Bewertung der DDR weiterkommen wollen, dann brauchen wir eine neue Sachlichkeit im Umgang mit der DDR-Geschichte und mit ihren Bürgerinnen und Bürgern. Ich werde weiter das verordnete DDR-Geschichtsbild hinterfragen und zunehmend habe ich auch Spaß daran.

 

Quelle: Neues Deutschland, 6/7.12.2008