Lücken, Unrecht und Strafe

Martina Bunge über die Anträge der LINKEN zu Ost-Renten

Auch 20 Jahre nach dem Beitritt der DDR weist das Rentenrecht zahlreiche Überführungslücken und Ungerechtigkeiten auf. So kürzt man etwa Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit pauschal die durch Beitragszahlung erworbenen Rentenansprüche. Selbst staatsferne Berufsgruppen wie ehemalige Balletttänzerinnen oder Beschäftigte in der Braunkohleindustrie müssen Abstriche bei der Rente hinnehmen. Die Linksapartei fordert seit Jahren Korrekturen bei den DDR-Rentenansprüchen. Über den Stand der Dinge sprach Fabian Lambeck mit der Bundestagsabgeordneten Martina Bunge (LINKE), die auch als Sprecherin für ostdeutsche Rentenüberleitung fungiert.

ND: Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales sollte sich am Mittwoch mit insgesamt 19 Anträgen der Linksfraktion zur Benachteiligung ostdeutscher Rentner beschäftigen. Wie war die Reaktion auf den Vorstoß?
Bunge: Unser Ziel ist eine Anhörung zum Thema. Deshalb sollte sich der Ausschuss mit Beschlussfassung über eine Anhörung befassen. Weil sich aber bei den Obleuten eine neue Situation abzeichnete, die unserer Idee zuwider lief, ist das Thema abgesetzt worden.

Was genau ist vorgefallen?
Um eine Anhörung durchzusetzen, müssen mindestens 25 Prozent der Abgeordneten zustimmen. Also müssten sich zumindest alle Oppositionsparteien einig sein. Die SPD hielt sich lange sehr zurück. Es gibt ein stures Festhalten am Zeitrahmen von nur einer Stunde. Und da haben wir gesagt, lasst uns doch noch mal in Ruhe drüber debattieren. Wenn wir 19 Anträge in einer nur einstündigen Sitzung behandeln, dann ist das nur eine Placebo-Veranstaltung. Das ist mit uns nicht zu machen.

Wie soll es jetzt weitergehen?
Wir wollen in der Obleute-Beratung im Januar klar machen, dass wir eine längere Anhörung brauchen, damit die Betroffenenverbände zumindest zu jedem der drei großen Themenfelder gehört werden können. Die Fälle sind ja teilweise ganz unterschiedlich gelagert. So gibt es drei Kategorien: Überführungslücken, Versorgungsunrecht und Rentenstrafrecht. Durch eine ausführliche Anhörung ließe sich das diesbezügliche Wissen der anderen Abgeordneten erweitern.

Nun sind einige der betroffenen Gruppen – wie etwa die Balletttänzerinnen – ja zahlenmäßig so klein, so dass sich Gerechtigkeitslücken schnell und billig schließen ließen. Was macht denn die Lösung des Problems so schwierig, dass die Betroffenen bis heute vergeblich auf ihr Geld warten?
Dahinter steckt die Befürchtung, den anderen Gruppen ihre Ansprüche nicht mehr vorenthalten zu können, wenn erst einmal für eine Gruppe eine Lösung gesucht und gefunden wurde. Also ist es für die politischen Entscheider taktisch klüger, nichts zu tun. Wir haben für jede Gruppe einen eigenen Antrag eingebracht, auch in der Hoffnung, dass Anträge einzelner Gruppen doch noch Zustimmung erhalten und die Regierung unter Druck bringen.

Und kann diese Taktik aufgehen?
Immerhin sind die Grünen aktiv geworden. Diese Woche schieben sie einen eigenen Antrag zur Geschiedenenproblematik nach. Es wäre schön, wenn auch die SPD mal aus der Deckung käme.

Nun werden einige Betroffenengruppen selbst aktiv. Im November musste sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Rentenstrafrecht befassen. Mehr als 73 000 Menschen hatten eine entsprechende Petition unterzeichnet und so eine öffentliche Anhörung erzwungen. Taucht diese Gruppe in einem Ihrer Anträge auf?
Nur zum Teil. Wir haben einen Antrag zur Wertneutralität des Rentenrechts für Personen mit bestimmten Funktionen. Aber dabei handelt es sich nur um ein- bis zweitausend Personen, bei denen man die Rentenformel manipuliert hat.

Sind nicht viel mehr Personen vom Rentenstrafrecht betroffen?
Ja, aber für die ganz große Gruppe der MfS-Beschäftigten haben wir keinen Extra-Antrag. Sie sind nur im Gesamtantrag erfasst. Der Betroffenenverband ISOR klagt noch vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie haben diese Petition eingebracht, um so die Bereitschaft der Abgeordneten zu wecken. Anscheinend vergeblich, so empfand ich die Anhörung dazu im Petitionsausschuss. Sie setzen nun darauf, dass das Verfassungsgericht zu ihren Gunsten entscheidet. Insofern wollten wir nicht mit einem Antrag dazwischen kommen.


Der Artikel wurde am 16.12.2010 auf http://www.neues-deutschland.de veröffentlicht.
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