Aus ND vom 19. Mai 2004 S. 5

Niveau wie im kalten Krieg

GBM kritisierte fehlende Dialogbereitschaft in der innerdeutschen Debatte (Von Theo Wiese)

Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde hat auf ihrer Delegiertenkonferenz erneut die Folgen der deutschen Einheit für Ostdeutschland angeprangert. Auch die Politik der rot-grünen Bundesregierung wurde kritisiert.

"Die Tatsache, dass Ostdeutschland nicht mehr in der Lage ist, auf dem Niveau einer Industrienation eigenständig lebensfähig zu sein, ist eine Entwürdigung seiner Bevölkerung und ihrer Lebensleistung". Das sagte Wolfgang Richter, Vorsitzender der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde(GBM) am Dienstag auf der Delegiertenkonferenz des Verbandes in Berlin. 47 Prozent der Ostdeutschen müssen heute laut Richter ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Sozialtransfers bestreiten. Der GBM-Vorsitzende kritisierte die öffentliche Debatte über die ostdeutsche Lage, die den Menschen zum Teil die Schuld dafür in die Schuhe schiebe. Das schüre Unfrieden, erklärte Richter. Er warf dem Westen erneut vor, im Laufe der Wiedervereinigung die Menschenrechte missbraucht und verletzt zu haben. Das sei durch vernichtete Arbeitsplätze, Berufsverbote für bestimmte Berufsgruppen sowie der Zerstörung der ostdeutschen Kultur geschehen. Die sozialen Rechte gehören für die GBM zu den Menschenrechten - im Unterschied zu den meisten westdeutschen Menschenrechtsorganisationen. Richter machte darauf aufmerksam, dass die UNO in Bezig auf die Stellungnahmen der GBM die Ungleichheit zwischen West-und Ostdeutschland kritisiere. Das betreffe das Problem der Arbeitslosigkeit und das Rentensystem. Die vermeintlichen Reformen der Bundesregierung seien nur Kürzungen und würden die "strukturelle Gewalt der Politik" tarnen, erklärte Richter. Er wandte sich für die GBM gegen die behauptete Alternativlosigkeit des Sozialabbaus und forderte ein "Mehr an sozialer Sicherheit". Der Verband werde "entschiedenen Widerstand" leisten, wenn weiterhin die Lasten von oben nach unten verteilt werden, wie bei der Rentenkürzung durch die vollen Pflegeversicherungsbeiträge. Das gelte auch für "die fortgesetzte Diskriminierung und Bestrafung vieler ostdeutscher Rentner".

Der GBM-Vorsitzende bezeichnete es als"demütigend und lügnerisch", wenn behauptet werde, Rentner in Ostdeutschland erhielten durchschnittlich höhere Renten als die im Westen. Beim Vergleich der gesetzlichen Rentenbezüge würden alle außen vor gelassen, die höhere Altersbezüge aus Pensionen oder Ärztekassen erhielten. In Westdeutschland gebe es fast eine Million Pensionäre mit Bezügen zwischen 1600 bis 2600 Euro, so Richter. Das werde nie mitgerechnet und würde den westdeutschen Durchschnitt heben. Der reale Vergleich ergebe eine "grobe Verletzung aller Gleichbehandlungsgrundsätze", die in Menschenrechtskonventionen und im Grundgesetz festgeschrieben sind.

Richter beklagte die fehlende Dialogbereitschaft in der innerdeutschen Debatte. Diese befinde sich wieder auf dem Niveau des Kalten Krieges, erklärte er mit Verweis auf das Medienecho, dass die von der GBM mitorganisierte Konferenz zu Spionage im Kalten Krieg ausgelöst hatte...

In einer Rede vor den mehr als 200 GBM-Delegierten warnte Hans Modrow, PDS-Europaabgeordneter, vor der Militarisierung der EU. Das werde mit dem Verfasungsentwurf festgeschrieben, wie auch die neoliberale Ausrichtung der Gemeinschaft aus 25 Staaten. Es stünden deutliche soziale Konflikte bevor, schätzte Modrow ein...