Ernst Thälmann zum Gedenken. Rede von Egon Krenz zum 118. Geburtstag
des KPD-Vorsitzenden und Abgeordneten des Deutschen Reichstages
Am gestrigen Sonntag sprach Egon Krenz, ehemaliger Staatsratsvorsitzender
der DDR, vor mehr als 500 Zuhörerinnen und Zuhörern vor dem abgeriegelten
Areal der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals bei Berlin anläßlich der
Wiederkehr von Thälmanns Geburtstag. Es war Krenz’ erster öffentlicher Auftritt
seit seiner Haftentlassung im Dezember vergangenen Jahres. jW dokumentiert
die Rede in ungekürzter Form.
Hier
ein Auszug aus dieser Rede:
Es handelt sich ja bei den Vergleichen
der DDR mit dem Faschismus nicht nur um Geschichtsfälschung. Es ist zugleich
eine schamlose Verharmlosung der Naziverbrechen und eine Dämonisierung der
Geschichte der DDR. Es ist eine unglaubliche Verhöhnung der Opfer der Nazibarbarei,
die als Volksverhetzung verboten gehört.
Kürzlich wurde am Gebäude des Ministeriums
für Staatsicherheit eine »Gedenktafel« angebracht, die wohl eher den Namen
»Diffamierungstafel« verdient. Bei aller notwendigen kritischen Bewertung
unserer Geschichte – ich versuche aktiv daran teilzunehmen – ist es völlig
unakzeptabel, die DDR und ihr Ministerium für Staatssicherheit in die Nähe
von Terrorismus zu bringen. Die DDR hat weder Terrorismus gefördert noch geduldet.
Sie hat ihre Bevölkerung aktiv vor
terroristischen Anschlägen geschützt. Die DDR hat keine »Killer« bestellt
und keine Morde in Auftrag gegeben. Unsere Sicherheitsorgane haben im Gegenteil
erfolgreich dazu beigetragen, daß die DDR der einzige deutsche Staat blieb,
der an keinem Krieg beteiligt war. Schon dadurch unterscheiden sie sich von
jenen Geheimdiensten und Regierungen, die Dokumente fälschten, um Kriege gegen
andere Völker zu führen.
Als die Bundesrepublik 1977 Ziel von
Terroranschlägen war, nutzte die DDR ihre guten Beziehungen zur VR Jemen und
zu Somalia und die Anwesenheit unserer Sicherheitsorgane in diesen Ländern,
um die höchsten Repräsentanten Jemens und Somalias zu bitten, alles zu tun,
damit die Passagiere in der Lufthansa-Maschine nicht zu Schaden kommen. Bundeskanzler
Schmidt hat damals in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag der DDR ausdrücklich
für die Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung gedankt. Dies ist heute vergessen,
weil es nicht der Diffamierung der DDR dienen kann.
Hätten jene, die für ihre Gehässigkeiten
gegen die DDR im Sold des Staates stehen, diese Tafel angebracht, wäre dies
kein Grund zum Wundern gewesen. Die »Geschichtsaufarbeitung« erfolgt hierzulande
regierungsamtlich und durch Beschlüsse des Bundestages mit dem Ziel, die DDR
und ihre antifaschistische Vergangenheit zu delegitimieren. Daß aber Menschen
mit gestandener DDR-Biographie und selbst frühere Funktionsträger der DDR
mitgewirkt haben, wundert mich schon. Es wundert mich vor allem, daß sie bei
dieser unwürdigen Tafel nicht ihre Eigenwürde verletzt sehen.
Haben wir nicht genug Fakten aus der
deutschen Nachkriegsgeschichte, um auch Fragen an die alte Bundesrepublik
zu stellen: Ging die Ohrfeige der Beate Klarsfeld für Kiesinger nicht ins
Prinzipielle? Hat man die Mörder von Philipp Müller, dem jungen Gewerkschafter,
der 1952 bei einer Friedensdemonstration in Essen ermordet wurde, verfolgt
oder verurteilt? Wie starb Benno Ohnesorg, der eher unpolitische Student in
Westberlin und wer bestrafte die Verantwortlichen? Wer stellte Politiker und
Richter vor Gericht, die verfassungswidrig die KPD und die FDJ verboten?
Wir erlebten, wie die Rosenbergs,
Patrice Lumumba, Martin Luther King, Salvador Allende oder Bischof Romero
ermordet wurden wie Ernst Thälmann. Aus keinem anderen Grund als Antikommunismus.
Und der mörderische Vietnamfeldzug, die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht
auf Kuba, alles aus denselben Gründen – Antikommunismus! Und immer wieder
die alte Bundesrepublik, offen oder versteckt an der Seite der Invasoren und
Diktatoren. Das ist meine Antwort an jene, die nicht müde werden, der DDR
nur Unmenschlichkeit in die Wiege zu legen. Ich bin keineswegs unkritisch
zu meiner Vergangenheit in der DDR oder wäge Unrecht gegen Unrecht ab. Doch
eine gerechte und differenzierte Beurteilung der DDR wird nur möglich sein,
wenn die gesamtdeutsche Nachkriegsgeschichte auf dem Prüfstand steht. Ich
wende mich gegen jedes Pauschalurteil über die DDR – ob es nun positiv oder
negativ ist.
»Sonderzone« Ostdeutschland
Ostdeutschland soll nun wieder »Zone« werden. So jedenfalls können
wir es aus den Medien entnehmen. Dabei wird übersehen, daß dies schon Realität
ist: Ostdeutschland ist besonderes Tarifgebiet. Ostdeutschland ist eine Sonderzone
des Rechts. Für Ostdeutschland wurde das Rückwirkungsverbot aufgehoben. Eigens
für Ostdeutschland wurde ein besonderes Rentenstrafrecht für »Staatsnahe«
erfunden, es gibt keine Gleichheit der Deutschen, weder in der Beurteilung
ihrer Geschichte noch bei ihren Lebensbedingungen. Die Arbeitslosigkeit und
der Sozialabbau treffen hier die Bevölkerung am härtesten. Nun stellt ein
Nachrichtenmagazin die Fakten auf den Kopf: Ökonomisch, so behauptet der Autor,
wurde der »Westen im Zuge der Vereinigung zur Kolonie des Ostens«.
Wer so schreibt, negiert Fakten und
urteilt ideologisch. Was jetzt in Deutschland passiert, kann man nicht dem
Erbe der DDR anlasten, sondern ist Resultat der gescheiterten Vereinigungspolitik.
Wenn über die hohe Transfersumme gesprochen wird, sind mir sehr wohl auch
die Anstrengungen der Westdeutschen bewußt, die dahinter stehen. Doch, es
darf nicht vergessen werden, daß die Treuhand den Osten Deutschlands deindustrialisiert
hat. Der dadurch verschuldete Rückgang der Produktion ist von Einmaligkeit
in der deutschen Geschichte. Nicht einmal infolge der beiden Weltkriege hat
es einen solchen Rückgang der Industrieproduktion gegeben. 85 Prozent des
DDR-Volksvermögens gelangte in die Hände des westdeutschen Kapitals. Und dies
oftmals mit krimineller Energie. Wie die Preise dabei waren, erleben wir ja
noch in der Gegenwart, wenn wir von Abfindungssummen für Manager oder Spesen
für Bankdirektoren hören.
Bei der Vereinigung betrug das Volksvermögen
der DDR 1,7 Billionen Mark der DDR. Nicht darin enthalten waren der Wert von
vier Millionen Hektar Grund und Boden und der Wert von öffentlichen Gebäuden
im In- und Ausland. Es bleibt mir ein Rätsel, wie aus dem Verkauf einer ganzen
Volkswirtschaft nichts übriggeblieben sein soll als Schulden? Wer meint, der
»Westen sei die Kolonie des Ostens«, sollte auch nicht vergessen, daß die
DDR zu 98 Prozent die deutschen Reparationen an die Siegermächte leistete.
Dafür hat sie von Bonn nie einen Ausgleich erhalten. Schließlich haben die
DDR-Bürger leider auch die von ihnen nicht verursachte hohe Inlandsverschuldung
der Bundesrepublik geerbt. Was jetzt in Politik und Medien geschieht, ist
ein großangelegter Versuch, Ostdeutsche gegen Westdeutsche und Westdeutsche
gegen Ostdeutsche aufzuhetzen. So einigt man Deutschland nie!
Thälmanns Geburtstag in diesem Jahr
ist ein besonderes Datum. Vor 60 Jahren beging er seinen 58. Geburtstag. Es
war bereits im zwölften Haftjahr. Und es sollte sein letzter sein. Die Nazis
dachten sich für seine Familie eine besondere Grausamkeit aus: Auf dem Wege
zum Besuch ihres Vaters wurde Irma Thälmann verhaftet. Kurze Zeit danach auch
Rosa Thälmann. Sie wurden 1945 von sowjetischen Truppen befreit, als Thälmann
bereits ermordet war. Wir ehren Thälmann, indem wir nach seinen Worten handeln:
»Treu und fest, stark im Charakter und siegesbewußt im Handeln, so und nur
so werden wir unser Schicksal meistern.«