Ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit

Marianne Linke auf einem ver.di-Workshop zur „Rentenangleichung Ost"

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat am 17. Juli 2006 in Berlin einen Workshop zum Thema „Rentenangleichung Ost" durchgeführt. Dort hielt auch Marianne Linke, Sozialministerin in Mecklenburg­Vorpommern (Linkspartei.PDS) einen Vortrag. Im Folgenden der leicht gekürzte Text:

 

(...) Das Thema des Workshops, die Rentenangleichung Ost, liegt mir, aber auch der Landesregierung Mecklenburg-­Vorpommern, besonders am Herzen. Vor etwa vier Jahren haben PDS und SPD im Koalitionsvertrag festgelegt, dass für die Landesregierung die Angleichung der Ost-Renten an die West-Renten noch in diesem Jahrzehnt ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit ist.Mit dem Rentenüberleitungsgesetz wurde ein gesondertes Anpassungsverfahren für die Renten in den neuen Bundesländern festgelegt, um zu garantieren, dass sich die Renten dem Niveau West entsprechend der Entwicklung der Löhne und Gehälter angleichen. Aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass die Angleichung der Einkommensverhältnisse entschieden langsamer erfolgt, als zum damaligen Zeitpunkt angenommen wurde. Aus diesem Grunde hatte das Land Mecklenburg-Vorpommern Bundesratsinitiativen ergriffen, die eine vollständige und zügige Angleichung des Rentenwertes unabhängig von der Entwicklung der Lohn- und Gehaltssummen in den neuen Bundesländern zum Ziel hatten. Leider fanden diese im Bundesrat keine Zustimmung der anderen Länder.In Deutschland ist die Gesetzliche Rentenversicherung mit einem Anteil von 79 Prozent das am weitesten verbreitete Alterssicherungssystem. Dem Alterssicherungsbericht 2005 ist zu entnehmen, dass in den neuen Ländern mit insgesamt 99 Prozent fast sämtliche Alterssicherungsleistungen der 65-Jährigen und Älteren aus der Gesetzlichen Rentenversicherung kommen. In den alten Ländern liegt der entsprechende Anteil bei nur 74 Prozent. 26 Prozent der Alterssicherungsleistungen kommen hier aus anderen Sicherungssystemen.Insbesondere in den alten Bundesländern kommen zur gesetzlichen Rente weitere Einkünfte hinzu. So beziehen zum Beispiel 55 Prozent der Männer eine betriebliche Altersversorgung oder eine Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Bei den Frauen sind es 19 Pro­zent. In den neuen Bundesländern können diese Formen der Alterssicherung bisher kaum Wirkung entfalten.Ergänzend kommen oftmals Einkommen aus Vermietung, Verpachtung, Lebensversicherungen und privaten Rentenversicherungen dazu, wobei die Höhe in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten Bundesländern deutlich weniger als die Hälfte beträgt.Gerade für die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern ist die gesetzliche Rente nach wie vor das wichtigste Einkommen und hat entsprechend einen deutlich höheren Stellenwert als in den Altbundesländern. Das bedeutet, dass sich gesetzgeberische Maßnahmen, die zu einer Absenkung der durchschnittlich verfügbaren Rente führen, auf den Ostrentner noch gravierender als auf den Westrentner auswirken.Aufgrund falscher Weichenstellungen der letzten und auch jetzigen Bundesregierung im Bereich der Sozialversicherungssysteme ist es zwischenzeitlich zu einer einseitigen und nicht mehr hinnehmbaren Benachteiligung der älteren Bürger unseres Landes insgesamt und insbesondere im Osten gekommen.Eine Vielzahl an abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung wie- das Zweite und Dritte Gesetz zur Änderung des SGB VI,  - das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz und  - das Alterseinkünftegesetzführten und werden weiter zu einer deutlichen Absenkung der durchschnittlich verfügbaren Rente und vielfach zu Altersarmut führen.Im Einzelnen wurden insbesondere folgende Rentenkürzungsmaßnahmen beschlossen:Vom 1. April 2004 an haben die Bezieher gesetzlicher Renten den Beitrag zur Pflegeversicherung in voller Höhe zu tragen, das entspricht 1,7 Prozent ihrer Rente. Bis dahin zahlten sie die Hälfte.Die Aussetzungen der Rentenanpassungen zum 1. Juli 2004 sowie 2005 und die Verschiebung der Rentenzahlung bei Neurentnern auf das Monatsende führen dazu, dass die Kaufkraft der Rente sinkt und Neurentner später über ihre Rente verfügen. Mit dem Alterseinkünftegesetz wurde die Besteuerung der Renten eingeführt: In einem Übergangszeitraum bis 2025 werden die zu zahlenden Altersvorsorgebeiträge zunehmend beitragsfrei und die Renten bis 2040 zunehmend steuerpflichtig. (...)Um eine vermeintlich sachgerechte Aufteilung der finanziellen Belastungen auf die Beitragszahler und Rentner zu gewährleisten, wurde ein so genannter „Nachhaltigkeitsfaktor" in die Renten­anpassung aufgenommen. Dieser soll die Entwicklung der Relation von Rentenbeziehern zu Beitragszahlern widerspiegeln. Das heißt, es werden die Entwicklung der Lebenserwartung, die der Geburten und die der Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Konkret zu spüren war der Nachhaltigkeitsfaktor bereits; seinetwegen ist es im letzten Jahr zu keiner Dynamisierung, das heißt Rentenerhöhung, gekommen. In diesem Jahr wird dies ebenso sein.Rentenmindernd wird sich auch die beschlossene Abschaffung der rentenrechtlichen Anrechungszeit wegen schulischer Ausbildung und Hochschulausbildung auswirken. Insgesamt ergibt sich nach heutigem Stand eine Minderung der Rente von monatlich bis zu 52 Euro in den neuen Ländern. (...)Die erfolgte Anhebung der frühest möglichen Altersgrenzen vermag angesichts der immer noch zu verzeichnenden und wohl auch weiterhin andauernden sehr hohen Arbeitslosigkeit ebenfalls nicht zu überzeugen. (...)Hinzu kommen vorgenommene Leistungseinschränkungen beziehungsweise -ausgrenzungen sowie neue Zuzahlungs- und Befreiungsregelungen im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung. Beispielhaft seien hier nur die zu zahlende Praxisgebühr, die Anhebung des Beitragssatzes und die deutlichen Einschränkungen bei Sehhilfen und Zahnersatz genannt.Die Situation ist nach der letzten Bundestagswahl keineswegs besser geworden. Die nun auf der Basis des Koalitionsvertrages von der neuen Bundesregierung beschlossene Mehrwertsteueranhebung und der so genannte Nachholfaktor, der in den nächsten Jahren mittlerweile dringend notwendig werdende Rentenerhöhungen verhindern soll, werden die Situation der Rentnerinnen und Rentner - und hier auch wieder insbesondere im Osten - weiter verschärfen.

Die ebenfalls beschlossene Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre steht deutlich im Widerspruch zur derzeitigen und mittelfristig zu erwartenden Arbeitsmarktlage und stellt unter dem Strich nichts weiter als eine zusätzliche Rentenkürzung dar. So werden zur Sicherung des Lebensunterhaltes viele Menschen andere soziale Leistungen - wie eben Hartz IV - in Anspruch nehmen müssen. Wir wissen, ein Jahr ALG-II-Bezug bedeutet einen monatlichen Rentenanspruch von 4,27 Euro.

Letztlich sind auch im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung weitere Belastungen für die Renterinnen und Rentner absehbar.

Gegenwärtig wird auch das jüngste Kind der Sozialversicherungssysteme, die Pflegeversicherung, heftig diskutiert. Gerade für Rentner ist das eine wichtige Altersvorsorge. Jeder von uns kann eines Tages pflegebedürftig werden. Rentner zahlen die Beiträge selbst. Wir wollen die Pflegeversicherung erhalten und weiterentwickeln. Es sind wichtige Verbesserungen auf der Leistungsseite - unter anderem die Dynamisierung der Pflegeleistungen, deren Sätze seit 1995 unverändert sind, ein besonderer Hilfe- ­und Betreuungsbedarf für Demenzkranke und die Ausweitung des Pflegeurlaubs im Rahmen der Familienpflege - vorgesehen. Gleichzeitig wird seitens der Koalition erwogen, das zurzeit praktizierte Umlageverfahren durch kapitalgedeckte Elemente zu ergänzen, was zwangsläufig zu einer Mehrbelastung der Beitragszahler führt und von mir abgelehnt wird.

All diese bereits erfolgten und noch zu erwartenden Änderungen stellen zusätzliche Belastungen dar. (...)

Die Herstellung von Rentengerechtig­keit für alle Rentner und die Beseitigung des Versorgungsunrechts war und ist besonderes Anliegen der Landesregierung und spiegelt sich auch in Nr. 149 unserer Koalitionsvereinbarung wider.

Rentenpolitik für Bürgerinnen und Bürger der neuen Länder umfasst drei Aspekte:

-die weitere Gestaltung der Gesetzlichen Rentenversicherung mit Auswirkungen auf Ost- und Westbürger gleichermaßen,

- die Anpassung der Ost- an die Westrenten und

- das Schließen von immer noch vorhandenen Gerechtigkeitslücken aus dem Einigungsvertrag.

Die von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern in dieser Sache in Form eines Entschließungsantrages mit Nachdruck betriebene Initiative zur Beseitigung verbliebener Gerechtigkeits­lücken ist leider ohne Erfolg geblieben; es konnte in der Bundesratssitzung am 14. März 2003 keine Zustimmung anderer Länder erzielt werden.

Die Sorge um Rentengerechtigkeit ist in Ostdeutschland eine politische Aufgabe ersten Ranges. Verbunden damit ist die Anerkennung erbrachter Lebensleistungen und die Gewährleistung der zumeist einzigen Einkommensquelle der Rentner in den ostdeutschen Ländern, aber auch die Sicherung des sozialen Friedens.

Deshalb wird es, wie bei der eben erwähnten Initiative, auch zukünftig um folgende Punkte gehen:

Zunächst müssen weiterhin Lücken - so genannte Gerechtigkeitslücken - aufgezeigt werden, die deshalb entstanden sind, weil bestimmte anspruchserhöhende Tatbestände aus dem Recht der DDR im Recht der Bundesrepublik keine Entsprechung finden. Durch diese Lücken entstehen den betroffenen Personen zum Teil erhebliche finanzielle Einbußen, die ausgeglichen werden sollten.

 

Lücken im Rentenrecht

Eine rentenrechtliche Anerkennung ist zum Beispiel bisher unterblieben

-    bei den „mithelfenden Familienangehörigen" von Land- und Forstwirten, Handwerkern und anderen          Selbständigen;

-   bei Unterbrechungen von versicherten Beschäftigungen durch Frauensonderstudien, bei postgradualen Studien oder ordentlichen Aspiranturen;

-   bei zu DDR-Zeiten im Ausland erworbenen Rentenansprüchen mitreisender Ehepartner;

-   bei den freiwilligen Versicherungen in Höhe von 3 bis 9 Mark pro Monat und

-   der Steigerungsfaktor von 1,5 für Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesen der DDR wurde ab 1997 gestrichen.

Darüber hinaus wurden in der DDR für Wissenschaftler, Hochschullehrer, Pädagogen, Angehörige der technischen Intelligenz sowie Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post zusätzliche Altersversorgungen aufgebaut. Diese zusätzlichen Altersversorgungen wurden durch das Rentenüberleitungsgesetz 1991 nicht beziehungsweise nur zu einem geringen Teil berücksichtigt. .Hier sollte für Bestandsrentner und rentennahe Versorgungsberechtigte ein zusätzliches und zeitlich befristetes Versorgungssystem geschaffen werden, was gerade solchen Personen, die altersbedingt keine neue und zusätzliche Altersversorgung mehr aufbauen können und konnten, erheblich helfen würde.

Auch noch zu lösen - und im Hinblick auf das zwischenzeitlich fortgeschrittene Alter möglichst bald - ist das Problem der in der DDR bis 1991 geschiedenen, ohne Versorgungsausgleich gebliebenen Ehefrauen.

Schließlich wird es auch weiterhin um die noch bestehenden Begrenzungen des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts für Angehörige staats- und systemnaher Versorgungssysteme und für Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit gehen müssen. Hier vertrete ich die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass politische Bewertungen oder moralische Maßstäbe im Rentenrecht grundsätzlich keine Berücksichtigung finden dürfen. Renten unterliegen der grundgesetzlich geschützten Eigentumsgarantie aus Artikel 14. Das Grundgesetz gilt für alle Bürgerinnen und Bürger.

Auch zukünftig werden wir unvermindert dafür kämpfen müssen, weitere belastende Eingriffe in das Rentenrecht zu verhindern und die geschilderten Schieflagen zu beseitigen - und dieser Kampf ist wichtig, wie aktuelle Vorausberechnungen zeigen.

Der Lebensstandard im Alter kann allgemein als gesichert angesehen werden, wenn das Nettoalterseinkommen mehr als 70 Prozent des Nettoeinkommens vor dem Ausscheiden aus dem Berufsleben beträgt. Die Gesetzliche Rentenversicherung hat über viele Jahrzehnte den so bezifferten Lebensstandard zumindest am unteren Ende des Korridors für den so genannten Standardrentner gesichert. Wie jedoch Berechnungen bezüglich des zukünftigen Leistungsniveaus der Gesetzlichen Rentenversicherung zeigen, wird dieses Niveau in Zukunft nicht mehr erreicht werden. Aktuellen Vorausberechnungen zufolge wird das steuerbereinigte Nettorentenniveau von heute 53 Prozent auf circa 46 Prozent im Jahr 2020 und rund 43 Prozent im Jahr 2030 absinken.

Die Bedeutung der zusätzlichen, das heißt der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge, wird daher deutlich zunehmen, wenn die Versicherten ihren heutigen Lebensstandard auch im Alter sichern wollen. Doch - und diese Frage muss gestellt werden dürfen – wie soll dies alles angesichts der unzureichenden wirtschaftlichen Entwicklung, der niedrigen Löhne und Gehälter und der hohen Arbeitslosigkeit im Osten im nennenswerten Umfang realisiert werden? Weiteren Vorausberechnungen zufolge wird allein schon die stufenweise Anhebung des abschlagsfreien Rentenalters von 65 auf 67 Jahre dazu führen, dass ein Durchschnittsverdiener bereits gut 37 volle Versicherungsjahre benötigt, um eine gesetzliche Rente in Höhe der armutsvermeidenden Sozialhilfe zu erhalten.

Die Erwerbsbiografien werden mit zunehmendem Abstand zur Wende arbeitsmarktbedingt immer unsteter. Ungeachtet dessen wurden gleichzeitig die von der Bundesagentur für Arbeit für die Bezieher von Arbeitslosengeld II gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung per Gesetz empfindlich reduziert. Es ist also davon auszugehen, dass wir - wenn nicht massiv gegengesteuert wird - insbesondere im Osten mit einer sehr hohen und tendenziell weiter ansteigenden Altersarmut rechnen müssen.Die finanziellen Folgen für die ohnehin finanzschwachen ostdeutschen Länder und Kommunen werden dramatisch sein.Die Reformen der vergangenen Jahre im Bereich der Sozialversicherung und auch die, die jetzt beabsichtigt sind, haben weitaus überwiegend die Ausgabeseite im Focus. Dies ist, davon bin ich zutiefst überzeugt, nicht der richtige Weg.Unabhängig davon dämpfen Kürzungen im Sozialbereich und bei den öffentlichen Investitionen die Inlandsnachfrage. In der Folge gehen die Steuereinnahmen weiter zurück, die Erwerbslosigkeit bleibt auf hohem Niveau und kann sogar steigen. Gerade Letzteres können wir uns überhaupt nicht leisten, denn die hohe Arbeitslosigkeit ist eine - für mich die wesentlichste - Ursache für die gegenwärtigen Probleme in den Sozialversicherungssystemen. Bei Vollbeschäftigung würde niemand über Leistungskürzungen diskutieren müssen.Das bestehende solidarisch und paritätisch finanzierte System der gesetzlichen Sozialversicherung halte ich grundsätzlich für reformfähig. Im Mittelpunkt der Reformen und der Lösungsansätze sollte allerdings in erster Linie die Einnahmeseite stehen.Der Sozialstaat sichert soziale Gerechtigkeit und sozialen Frieden, auf dieser Grundlage entwickeln sich demokratisches Miteinander und Toleranz.Man kann sich nicht einerseits über ein flächendeckendes, wohnortnahes und bedarfsgerechtes Gesundheitswesen freuen und andererseits über zu hohe Lohnnebenkosten jammern. Die Errungenschaften des Sozialstaates in Deutschland - ein gutes Gesundheitswesen, eine gute Rentenversorgung, eine Absicherung bei Pflegebedürftigkeit - sind ganz entscheidend auf der Grundlage der im Arbeitsprozess erwirtschafteten Lohnnebenkosten gewachsen. Das ist kein Geschenk der Arbeitgeber. Das ist von uns allen erarbeitet. Solidarische und paritätische Finanzierung hießen die Zauberwörter. Wir sollten angesichts der Veränderungen am Arbeitsmarkt, der hohen Arbeitslosigkeit überlegen, welchen Weg wir jetzt einschlagen, ohne die Richtung zu ändern und das Ziel - Weiterentwicklung des Sozialstaates - zu verfehlen.

Wie auch von den Gewerkschaften gefordert, sollte für die Sozialversicherungen endlich eine solidarische Bürgerversicherung eingeführt werden, in die auch Beamte, Selbständige und Freiberufler einzahlen. Ich habe in diesem Zusammenhang einmal gesagt: Der Millionär braucht keine gesetzliche Versicherung - aber die gesetzliche Versicherung braucht den Millionär. Die Schweiz demonstriert die Tragfähigkeit eines solchen Ansatzes.

 

Für solidarische Bürgerversicherung. Es muss endlich für Beitragsgerechtigkeit gesorgt werden und die ist nur über die konsequente Durchsetzung des Prinzips der ökonomischen Leistungsfähigkeit erreichbar. Dieses Mehr an solidarischer Umverteilung kann erfolgversprechend nur über eine Bürgerversicherung realisiert werden.Eine solche Bürgerversicherung sollte alle dafür geeigneten Versicherungszweige, also Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, umfassen.Die solidarische Komponente ist dadurch zu gewährleisten, dass Beiträge nicht nur auf Löhne und Gehälter, sondern auf sämtliche Einkunftsarten, das heißt Zinsen, Dividenden, Tantiemen, Miet- und Pachterlöse usw., zu erheben sind. Dabei darf es nach oben weder Beitragsbemessungs- noch Versicherungspflichtgrenzen geben, die es Hoch- und Spitzenverdienern erlauben würden, sich ihrer Verantwortung für sozial Benachteiligte zu entziehen und in andere - exklusive - Sicherungssysteme auszuweichen.Statt das Renteneintrittsalter pauschal zu erhöhen, sollten Modelle für flexible Altersgrenzen entwickelt werden. Diese Modelle müssen erstens der Tatsache Rechnung tragen, dass besonders belastete Beschäftigte aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden. Zweitens ist es ein Fakt, dass heutige Erwerbslebensläufe anders verlaufen als früher. (...)Darüber hinaus sind aber aus meiner Sicht weitere Verbesserungen des Rentenrechts dringend geboten: Um Altersarmut zu verhindern, sollte eine Rente mit bedarfsgerechtem Grundbetrag für Geringverdienende, die über die bestehende Grundsicherung deutlich hinausgeht, eingeführt werden. Ziel sollte es dabei sein, dass Menschen für eine langjährige Versicherungszeit trotz niedriger eingezahlter Beiträge einen existenzsichernden Grundbetrag aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Jedem Versicherten, der mindestens 30 Jahre Beiträge gezahlt und damit mindestens 15 Entgeltpunkte erzielt hat, sollte eine existenzsichernde Mindestrente von monatlich 800 Euro zustehen. Dies würde vor allem langjäh­rig Versicherte mit niedrigen Löhnen und längeren Zeiten von Arbeitslosigkeit besser absichern. (...)Außerdem muss vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung das Rentenrecht noch mehr auf Frauen zugeschnitten werden. Es sind zwar in der jüngeren Vergangenheit auf den Gebieten der Alterssicherung von Frauen und der Familienarbeit Verbesserungen erreicht worden, diese sind aber nicht ausreichend. Die Lebensleistung von Frauen sollte noch stärker berücksichtigt werden und zwar dadurch, dass für Kinder, auch für die vor 1992 geborenen, drei Jahre Erziehungszeit für jedes Kind in der Rentenversicherung anerkannt werden.Angesichts der gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und auch im Bundesrat wird es zur Realisierung solcher Ansätze eines langen Atems bedürfen.Insofern zeigt der von Ihnen erarbeitete und heute zur Diskussion stehende Vorschlag, die Angleichung der Rentenwerte Ost und West in einem Stufenplan zu realisieren, einen Weg, der auch unter den gegenwärtigen parlamentarischen Kräfteverhältnissen gangbar ist. Mit meiner tatkräftigen Unterstützung können Sie rechnen. (...)