Aus " Junge Welt" vom 08.07.2004:
Strafrenten
verfassungswidrig
Karlsruhe kippt Rentenberechnung für sogenannte »systemnahe«
DDR-Bedienstete und NVA-Angehörige
Die Rentenberechnung für ehemalige DDR-Staatsdiener muß
zumindest teilweise nachgebessert werden. Das Bundesverfassungsgericht gab
am Mittwoch zwei Entscheidungen vom 22. und 23. Juni bekannt. Einerseits billigten
die Karlruher Richter die Kürzung der Altersrente für Mitarbeiter des DDR-Ministeriums
für Staatssicherheit (MfS) auf das Durchschnittseinkommen. Andererseits beanstandeten
sie die Senkung der Altersbezüge auch für Ministerialangestellte und Armeeangehörige
und forderten eine Überarbeitung des Rentenüberleitungsgesetzes bis zum 30.
Juni 2005. Das Bundessozialministerium will das Urteil zunächst genau prüfen.
Nach Angaben von Gerichtssprecherin Gudrun Schraft-Huber sind von der Entscheidung
des Ersten Senats 12 000 bis maximal 25 000 ehemalige DDR-Bürger betroffen.
Mit seinem Ja zur Rentenbegrenzung für MfS-Mitarbeiter bestätigte das höchste
deutsche Gericht ein bereits 1999 verkündetes Urteil und wies die Klage eines
ehemaligen MfS-Angehörigen ab. In der Begründung billigen die Verfassungsrichter
dem Gesetzgeber zu, daß er Angehörigen des DDR-Staatsapparates die Anerkennung
versagen wollte, die aus politischen Motiven »überhöhte Einkommen« bezogen.
Das Gesetz zur Rentenüberleitung beziehe aber auch höhere Verwaltungsangestellte
pauschal ein. Es gebe jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Gruppe in
der DDR generell überhöht bezahlt worden sei. Die zweite Entscheidung erging
in den Fällen eines Direktors eines Volkseigenen Betriebes (VEB) für Vermessungswesen
im Rang eines Oberst der Nationalen Volksarmee, eines ehemaligen Präsidenten
des Patentamtes der DDR sowie eines früheren Abteilungsleiters im Bauministerium.
Sie können nach der jetzt geforderten Gesetzeskorrektur mit einer höheren
Rente rechnen. Bestandskräftige Rentenbescheide werden allerdings für die
Zeit vor der Bekanntgabe des Beschlusses nicht rückwirkend erhöht. Laut
Gericht konnte der Gesetzgeber die Deckelung der Renten hoher DDR-Staatsdiener
auch nicht damit begründen, daß Opfer des SED-Regimes nur kleine Renten bekämen.
Ein solcher Zusammenhang sei verfassungsrechtlich nicht tragbar, heißt es
in dem Beschluß. Es gebe auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die betroffenen
Staatsdiener Gehälter bezogen haben, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt
gewesen seien. Zudem sei völlig unklar, warum eine altersbedingte Einkommenssteigerung
politische Begünstigung sein solle. (AP/AFP/jW) * AZ: Bundesverfassungsgericht
1 BvL 3/98, 9/02 und 2/03