Meinungsfreiheit im Rechtsstaat!

Wie im Rechtsstaat der politische Gegner rechtsstaatlich mundtot gemacht wird!

RA Prof. Dr. Erich Buchholz

 

Im Rechtsstaat herrsche das Recht über die Politik, stehe es über der Politik.

So lauten die Ideen und Forderungen des Rechtsstaats.

 

Art. 5 GG will den Bürgern Meinungsfreiheit als Grundrecht garantieren.

 

Schon muss klargestellt werden, dass Grundrechte nur Rechte des Bürgers gegen den Staat und seine Behörden sind.

Sie entfalten keine verfassungsrechtliche Geltung gegenüber anderen Rechtssubjekten, seien es natürliche Personen oder Wirtschaftsunternehmen.

Namentlich den letzteren gegenüber, seien es „Arbeitgeber“ oder Händler oder Medienmogule, gilt das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht.

 

Selbstverständlich wird im Rechtsstaat nicht jeder, der irgendeine abweichende oder kritische Meinung etwa gegenüber der Regierung äußert, eingesperrt. Das hat der Rechtsstaat nicht nötig.

 

So weit jemand sich in der Familie, im Kreis von Bekannten und Freunden kritisch oder abfällig über die Politik in diesem Staate äußert, wird solches von der Rechtsordnung des Rechtsstaates Bundesrepublik toleriert. Er weiß nämlich genau: Derartige Äußerungen privatissime, im kleinsten Kreis, sind für ihn nicht bedrohlich.

Er setzt vor allem darauf, dass die Medien, und zwar nicht nur die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, ihm die Treue halten, dass sie im Wesentlichen im Sinne seiner Politik wirken, Nachrichten verbreiten, publizieren oder Beiträge veröffentlichen.

 

So weit die Medien ohnehin nicht in öffentlicher Hand sind, sind sie Instrumente mächtiger wirtschaftlicher Institutionen. Nicht zufällig werden die Medien als die „vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet. Denn gerade die geistige Beeinflussung der Bürger durch diese, und zwar massenhaft tagtäglich, ja stündlich auf die Bürger einwirkenden Medien sind Formen der Herrschaftsausübung.

 

Dabei wird allerdings sowohl im Fernsehen, als auch in Printmedien sehr gern eine Vielfalt von Meinungen vorgestellt und verbreitet, um den Nutzern dieser Medien vorzuführen, was für vielfältige Meinungen in ihrem Spektrum Platz haben. Allerdings kommen fundamental-kritische Stimmen nur in Grenzen und oft nur zu Zeiten mit geringer Einschaltquote zu Worte.

 

Aufgrund all dessen ist es – wie vielfältige Erfahrung lehrt – fast unmöglich grundsätzlich kritische Äußerungen und Positionen in den vorgenannten Medien unter und zur Geltung zu bringen – abgesehen von einigen kurzen kritischen Leserbriefen.

 

Wer nicht darauf setzen kann, durch Darstellungen im Internet etwas zu verbreiten oder wer nicht in in Kleinstauflagen erscheinenden, regierungskritischen Wochen- oder Monatszeitschriften etwas zu vermitteln vermag oder wer nicht in kleinen Nischen-Verlagen Publikation unterbringen kann, bleibt in der Medienwelt dieses Staates, in seiner Öffentlichkeit ungehört -

ganz so, als wenn jemand im Sturm gegen den Wind zu flüstern versucht.

Aber die Kundgabe unerwünschter Meinungen kann – wie man immer wieder erfährt – die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes auslösen, ohne dass der Betroffene davon erfährt und sich rechtsstaatlich zu wehren vermag.

 

Im Übrigen wird der Rechtsstaat durchaus auch gegenüber solchen Bürgern aktiv, die in einem überschaubaren Rahmen eine mit der herrschenden Meinung und der herrschenden Politik nicht übereinstimmende kritische Meinung zu verbreiten sucht.

 

Wie geht das?

Das soll an einem der verschiedenen Beispiele erläutert werden, die mir bekannt wurden.

 

In diesem Fall geht es um eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Ute G. Sie stammt aus der ehrwürdigen Hamburger Bürgerschaft. Sie ist eine aufrechte Demokratin und steht absolut auf dem Boden des Grundgesetzes – wie es geschrieben steht.

Sie ist allerdings der Meinung, dass dieses Grundgesetz ernst genommen werden muss – und zwar nicht nur im Sinne der jeweils aktuellen politischen Linie.

 

Ganz besonders hat es ihr angetan, dass nach dem „Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“ im Art. 146 GG nach wie vor vorgesehen ist, das Provisorium des Grundgesetzes durch eine Verfassung abzulösen, „die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen“ sein wird.

 

Dafür hat sie sich engagiert und tut es auch weiterhin.

Sie hat eine Initiative „Forum – Ute Grothusen; Ost – Westdeutscher Brückenverlag“ gestartet.

Ihre Auffassungen und auch ihre Kritik an Ungerechtigkeiten, die sie persönlich erfuhr, hat sie an praktisch alle Stellen und Instanzen in diesem Staate gerichtet an Kanzler(in), an Bundespräsidenten, Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und an viele andere.[1]

 

Nun hat sie in dem Hause, in dem sie in einer Eigentumswohnung wohnt, ein Schild angebracht, der auf die Aktivitäten dieses Brückenschlages hinweist.

 

Sie hat so von ihrem verfassungsrechtlichen Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht.

Nicht mehr und nicht weniger.

Allerdings kam nicht die Polizei, um diese Anschlag zu entfernen.

 

Der Rechtsstaat ist vielfältig und seine Juristen erfinderisch.

Beklagt haben sich über diese einem zentralen Gebot des Grundgesetzes entsprechende Bekundung die Wohnungseigentümer dieses Hauses.

 

Aber sie haben sich nicht etwa politisch mit dieser Forderung der Ute G. auseinander gesetzt, sie weder zurückgewiesen noch kritisiert.

 

Sie haben auf ihr Eigentumsrecht gepocht.

Als Wohnungseigentümergemeinschaft haben sie gemäß diesem Recht in einer Eigentümerversammlung einem Antrag auf „Genehmigung“ der Anbringung dieses Schildes nicht entsprochen und eine Entfernung dieses Schildes verlangt.

Dabei haben sie, um dem Geruch einer Beschränkung der Meinungsfreiheit zu entgehen – sachwidrig – dieses Schild als „Werbeschild“ disqualifiziert.

 

Sie haben dann, anwaltlich vertreten, auch alle rechtsstaatlich vorgesehenen Wege beschritten, so Unterlassungsklage, Androhung von Ordnungsmitteln u. s. w., wobei das Gericht gern der sachwidrigen Beurteilung des Schildes als „Werbeschild“ folgte.

Letztlich droht der tapferen Demokratin „für den Fall der erneuten Zuwiderhandlung“, d. h. der Ausübung ihres Grundrechts,  ein Haftbefehl!

 

Ist das nicht auch eine Form, unerwünschte Meinungen zu unterdrücken?

 

Wird das Eigentumsrecht gegen das verfassungsmäßige Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausgespielt, das auf diese Weise – rechtsstaatlich – ausgehebelt wird?

 

Sieht das Ganze nicht aus, wie auf einem Güterverschiebebahnhof, wo „das Problem“ – eben die dem GG entsprechende politische Forderung der Ute G. - auf ein anderes, das „rein  juristische“ Gleis geschoben wird, um sich mit ihm nicht auseinandersetzen zu müssen, aber gleichwohl der politische Gegner mundtot gemacht werfen soll?

 

Der vorgenannte „Fall Ute G.“ ist nur ein Beispiel für Tausend andere.

 

Was hier illustriert wurde, ist eine im Rechtsstaat geläufige Form und Methode eines für ihn charakteristischen besonderen juristischen Versteckspiels.

 

„Man“ versteckt  sich hinter dem Recht, hinter den juristischen Formulierungen des Gesetzes – um die Sachfragen, um die es eigentlich geht, nicht aus- und ansprechen zu müssen, um eine offene politische Auseinandersetzung zu vermeiden!

 

Denn bei dieser würden die entgegengesetzten Interessen in der Gesellschaft deutlich zu tage treten.

Das aber soll im Rechtsstaat möglichst ausgeschlossen bleiben.

Dem dient sein „juristischer Rauchvorhang“.[2]



[1] Sie hat dies öffentlich gemacht. Im Internet sind die aktuellen Adressen unter www.gg-artikel 146.de abzufragen.

 

[2] Näheres gerade auch zu dieser Eigenheit des Rechtsstaates in Erich Buchholz, „Anspruch und Wirklichkeit. Wie der Bürger den Rechtsstaat erlebt.“ Edition Ost, 2010