Meinungsfreiheit im Rechtsstaat!
Im Rechtsstaat herrsche das
Recht über die Politik, stehe es über der Politik.
So lauten die Ideen und
Forderungen des Rechtsstaats.
Art.
5 GG will den Bürgern
Meinungsfreiheit als Grundrecht garantieren.
Schon muss klargestellt
werden, dass Grundrechte nur Rechte des Bürgers gegen den Staat und seine
Behörden sind.
Sie entfalten keine
verfassungsrechtliche Geltung gegenüber anderen Rechtssubjekten, seien es
natürliche Personen oder Wirtschaftsunternehmen.
Namentlich den letzteren
gegenüber, seien es „Arbeitgeber“ oder Händler oder Medienmogule, gilt das
Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht.
Selbstverständlich wird im
Rechtsstaat nicht jeder, der irgendeine abweichende oder kritische Meinung etwa
gegenüber der Regierung äußert, eingesperrt. Das hat der Rechtsstaat nicht
nötig.
So weit jemand sich in der
Familie, im Kreis von Bekannten und Freunden kritisch oder abfällig über die
Politik in diesem Staate äußert, wird solches von der Rechtsordnung des
Rechtsstaates Bundesrepublik toleriert. Er weiß nämlich genau: Derartige
Äußerungen privatissime, im kleinsten Kreis, sind für ihn nicht bedrohlich.
Er setzt vor allem darauf,
dass die Medien, und zwar nicht nur die öffentlich-rechtlichen
Fernsehanstalten, ihm die Treue halten, dass sie im Wesentlichen im Sinne
seiner Politik wirken, Nachrichten verbreiten, publizieren oder Beiträge
veröffentlichen.
So weit die Medien ohnehin
nicht in öffentlicher Hand sind, sind sie Instrumente mächtiger
wirtschaftlicher Institutionen. Nicht zufällig werden die Medien als die
„vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet. Denn gerade die geistige Beeinflussung der
Bürger durch diese, und zwar massenhaft tagtäglich, ja stündlich auf die Bürger
einwirkenden Medien sind Formen der Herrschaftsausübung.
Dabei wird allerdings sowohl
im Fernsehen, als auch in Printmedien sehr gern eine Vielfalt von Meinungen
vorgestellt und verbreitet, um den Nutzern dieser Medien vorzuführen, was für
vielfältige Meinungen in ihrem Spektrum Platz haben. Allerdings kommen
fundamental-kritische Stimmen nur in Grenzen und oft nur zu Zeiten mit geringer
Einschaltquote zu Worte.
Aufgrund all dessen ist es –
wie vielfältige Erfahrung lehrt – fast unmöglich grundsätzlich kritische
Äußerungen und Positionen in den vorgenannten Medien unter und zur Geltung zu
bringen – abgesehen von einigen kurzen kritischen Leserbriefen.
Wer nicht darauf setzen kann,
durch Darstellungen im Internet etwas zu verbreiten oder wer nicht in in
Kleinstauflagen erscheinenden, regierungskritischen Wochen- oder
Monatszeitschriften etwas zu vermitteln vermag oder wer nicht in kleinen
Nischen-Verlagen Publikation unterbringen kann, bleibt in der Medienwelt dieses
Staates, in seiner Öffentlichkeit ungehört -
ganz so, als wenn jemand im
Sturm gegen den Wind zu flüstern versucht.
Aber die Kundgabe
unerwünschter Meinungen kann – wie man immer wieder erfährt – die
Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes auslösen, ohne dass der Betroffene davon
erfährt und sich rechtsstaatlich zu wehren vermag.
Im Übrigen wird der
Rechtsstaat durchaus auch gegenüber solchen Bürgern aktiv, die in einem
überschaubaren Rahmen eine mit der herrschenden Meinung und der herrschenden
Politik nicht übereinstimmende kritische Meinung zu verbreiten sucht.
Wie
geht das?
Das soll an einem der verschiedenen
Beispiele erläutert werden, die mir bekannt wurden.
In diesem Fall geht es um
eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Ute G. Sie stammt aus der ehrwürdigen
Hamburger Bürgerschaft. Sie ist eine aufrechte Demokratin und steht absolut auf
dem Boden des Grundgesetzes – wie es geschrieben steht.
Sie ist allerdings der
Meinung, dass dieses Grundgesetz ernst genommen werden muss – und zwar nicht
nur im Sinne der jeweils aktuellen politischen Linie.
Ganz besonders hat es ihr
angetan, dass nach dem „Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“
im Art. 146 GG nach wie vor vorgesehen ist, das Provisorium des
Grundgesetzes durch eine Verfassung abzulösen, „die von dem deutschen Volk in
freier Entscheidung beschlossen“ sein wird.
Dafür hat sie sich engagiert
und tut es auch weiterhin.
Sie hat eine Initiative
„Forum – Ute Grothusen; Ost – Westdeutscher Brückenverlag“ gestartet.
Ihre Auffassungen und auch
ihre Kritik an Ungerechtigkeiten, die sie persönlich erfuhr, hat sie an
praktisch alle Stellen und Instanzen in diesem Staate gerichtet an Kanzler(in),
an Bundespräsidenten, Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und an viele
andere.[1]
Nun hat sie in dem Hause, in
dem sie in einer Eigentumswohnung wohnt, ein Schild angebracht, der auf die
Aktivitäten dieses Brückenschlages hinweist.
Sie hat so von ihrem
verfassungsrechtlichen Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Nicht mehr und nicht weniger.
Allerdings kam nicht die
Polizei, um diese Anschlag zu entfernen.
Der Rechtsstaat ist vielfältig
und seine Juristen erfinderisch.
Beklagt haben sich über diese
einem zentralen Gebot des Grundgesetzes entsprechende Bekundung die
Wohnungseigentümer dieses Hauses.
Aber sie haben sich nicht
etwa politisch mit dieser Forderung der Ute G. auseinander gesetzt,
sie weder zurückgewiesen noch kritisiert.
Sie haben auf ihr Eigentumsrecht
gepocht.
Als
Wohnungseigentümergemeinschaft haben sie gemäß diesem Recht in einer
Eigentümerversammlung einem Antrag auf „Genehmigung“ der Anbringung dieses
Schildes nicht entsprochen und eine Entfernung dieses Schildes verlangt.
Dabei haben sie, um dem
Geruch einer Beschränkung der Meinungsfreiheit zu entgehen – sachwidrig –
dieses Schild als „Werbeschild“ disqualifiziert.
Sie haben dann, anwaltlich
vertreten, auch alle rechtsstaatlich vorgesehenen Wege beschritten, so
Unterlassungsklage, Androhung von Ordnungsmitteln u. s. w., wobei das Gericht
gern der sachwidrigen Beurteilung des Schildes als „Werbeschild“ folgte.
Letztlich droht der tapferen Demokratin
„für den Fall der erneuten Zuwiderhandlung“, d. h. der Ausübung ihres
Grundrechts, ein Haftbefehl!
Ist
das nicht auch eine Form, unerwünschte Meinungen zu unterdrücken?
Wird das Eigentumsrecht gegen
das verfassungsmäßige Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausgespielt, das auf
diese Weise – rechtsstaatlich – ausgehebelt wird?
Sieht das Ganze nicht aus,
wie auf einem Güterverschiebebahnhof, wo „das Problem“ – eben die dem GG
entsprechende politische Forderung der Ute G. - auf ein anderes, das „rein juristische“ Gleis geschoben wird, um sich
mit ihm nicht auseinandersetzen zu müssen, aber gleichwohl der politische
Gegner mundtot gemacht werfen soll?
Der vorgenannte „Fall Ute G.“
ist nur ein Beispiel für Tausend andere.
Was hier illustriert wurde,
ist eine im Rechtsstaat geläufige Form und Methode eines für ihn
charakteristischen besonderen juristischen Versteckspiels.
„Man“ versteckt sich hinter dem Recht, hinter den
juristischen Formulierungen des Gesetzes – um die Sachfragen, um die es
eigentlich geht, nicht aus- und ansprechen zu müssen, um eine offene
politische Auseinandersetzung zu vermeiden!
Denn bei dieser würden die
entgegengesetzten Interessen in der Gesellschaft deutlich zu tage
treten.
Das aber soll im Rechtsstaat
möglichst ausgeschlossen bleiben.
Dem dient sein „juristischer
Rauchvorhang“.[2]