Berlin, den 15.02.2005
Deutscher Bundestag
Petitionsausschuss
Platz der Republik 1
11011 Berlin

 

Petition gegen meine lebenslange Geldstrafe nach § 7 Abs. 1 AAÜG ohne Urteil und die Ungleichbehandlung nach Artikel 3 GG.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit dieser Petition wende ich mich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages als ein unmittelbar vom Rentenstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland betroffener ehemaliger Bürger der DDR.

 

Ich gehörte dem MfS von 1961 bis 1989 an und war während des gesamten Zeitraumes als „Offizier im besonderen Einsatz“ im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR/Diplomatischer Funkdienst [1] tätig. Dieser Einsatz beruhte auf vertraglichen Vereinbarungen des MfS mit dem MfAA, ebenso wie das in der Bundesrepublik mittels Vereinbarungen zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Auswärtigen Amt (AA) gehandhabt wurde und wird.  

Meine Aufgabe bestand in der Durchführung und Absicherung der Funk- und Chiffrierverbindungen des MfAA zu seinen zuletzt über 180 Botschaften und Auslandvertretungen sowie deren technischer Sicherstellung.  Neben dieser Aufgabe war ich verantwortlich für die technische Sicherheit der jeweiligen Botschaften, in denen ich langjährig tätig war und später für den Gesamtkomplex im Staatlichen Funkbetriebsdienst der DDR, dessen Stellvertretender Leiter ich 1989 war. 

Wie wichtig und notwendig diese Tätigkeit für den Schutz und die Sicherheit dieser Einrichtungen war, wird nicht nur durch die zahlreichen geheimdienstlichen Angriffe gegen diese Einrichtungen und ihr Personal, sondern auch durch Versuche  terroristischer Angriffe und Botschaftsbesetzungen bewiesen. Auch die Bundesrepublik, sowie alle anderen Länder des westlichen und des östlichen Blocks haben ihre Einrichtungen in gleicher Weise durch entsprechende Kräfte geschützt und bewacht.

Ereignisse, wie die Besetzung der Deutschen Botschaft in Stockholm und die der USA in Teheran waren Beispiele, die die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen zeigten.  Die aktuelle Lage auf diesem Gebiet ist heute leider viel extremer.

Insofern hat auch meine Tätigkeit dazu beigetragen, dem Auswärtigen Amt der BRD beim Beitritt der DDR funktionsfähige, gesicherte und zum Teil heute noch genutzte sichere Einrichtungen zu übergeben. Selbst bei Betrachtung der unterschiedlichen politischen Zielstellungen der beiden deutschen Staaten im Ausland und ihrer jeweiligen Aktivitäten in den Botschaften, kann ich nicht erkennen, weshalb ich für meine Tätigkeit auf diesem Gebiet eine lebenslange Rentenstrafe hinnehmen soll.
Nach dem das höchste deutsche Gericht meine Zugehörigkeit zum MfS als ausreichenden Grund für eine lebenslange Bestrafung durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland  „als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“ deklariert hat, wende ich mich an Sie mit der Bitte, Ihren politischen Einfluss geltend zu machen um durch entsprechende  Maßnahmen mein Recht auf Gleichbehandlung mit anderen Normadressaten wieder herzustellen und dafür zu sorgen, dass das mir entzogene Eigentum meiner Einzahlungen in die Rentenversicherung, die auf Grund meiner Qualifikation und meiner beruflichen Stellung bis zum 3-fachen des DDR-Durchschnitts betrugen, für die Berechnung meiner Altersrente bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze anerkannt und mir die Rente entsprechend ausgezahlt wird.

Das Bundesverfassungsgericht (BVferG) hat mit seinem Urteil vom 23. Juni 2004 die willkürlich, politisch motivierten (fallbeilartigen) Entgeltkürzungen gem. § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG als mit dem Grundgesetz der BRD für unvereinbar erklärt. Der davon betroffene Personenkreis setzt sich aus allen leitenden Partei- und Staatsfunktionären der DDR zusammen, darunter auch meinen Vorgesetzten im DDR Außenministerium, vom Botschafter bis zum Außenminister einschließlich der Abt. Internationale Verbindungen im ZK der SED. Dieser Personenkreis trug die politische Verantwortung auch für meine Tätigkeit, während das MfS die Verantwortung für meine Arbeit zur Gewährleistung der Sicherheit der Einrichtungen des MfAA trug. Für mich bedeutete das vielfach Mehrarbeit und die Anweisungen zweier Vorgesetzter zu erfüllen, ohne zusätzliches Gehalt oder Überstundenvergütung. Auch dies ist ein Grund, weshalb ich nicht erkennen kann, weshalb ich nun lebenslang für eine Tätigkeit bestraft werden soll, die aufgrund des o.g. Urteils für die geistigen Väter und höheren Entscheidungsträger nicht strafbar ist, es bei mir aber sein soll. 

Bei der Übernahme des MfAA durch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik wurde der Staatliche Funkbetriebsdienst der DDR abgewickelt, weil das Auswärtige Amt selbst über eine moderne Kommunikations-Infrastruktur sowie die entsprechenden Sicherheitsstrukturen für ihren Botschaften verfügte.  Ich wurde entlassen, aber aufgrund meiner Qualifikation als Dipl.-Ing. für Nachrichtentechnik hatte ich damit keine Probleme und bin dem Ruf der Strasse: „Stasi in die Produktion !“ unmittelbar gefolgt. 

Da sich aber die sogenannte „Produktion“ im Osten zum Zeitpunkt der Schließung meiner Einrichtung bereits im Niedergang befand und ja nicht gesagt wurde in welche Produktion, habe ich für mich in Anspruch genommen gleich in die „West-Produktion“ zu gehen.  Dort habe ich in zwei verschiedenen Unternehmen in Kassel und München und einem Konzern in Frankfurt/Main bis zu meiner Berentung am 31.12.2004 nach Vollendung des 65. Lebensjahres gearbeitet. Meine letzte Tätigkeit war die eines Vertriebsdirektors im Bereich Sicherheitstechnik, in dem ich übrigens in Fortführung meiner früheren Tätigkeit die ganze Zeit gearbeitet habe.  Dies führte  dazu, dass ich mehr als die Hälfte der Entgeltpunkte meiner über 51-jährigen Berufstätigkeit in den letzten 14 Jahren in der Bundesrepublik erworben habe. Daraus ist ersichtlich, dass meine Tätigkeit und mein Beitrag zur Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt und auch gewürdigt wurde. Dabei habe ich meine fachlichen Kenntnisse und meine Erfahrungen eingesetzt, niemand hat mich jemals wegen meiner Zugehörigkeit zum MfS ausgegrenzt. Im Gegenteil, ich wurde in wichtigen Fragen um Rat gefragt. Ein nicht unbedeutender Manager sagte mir in diesem Zusammenhang bereits 1992: „Herr Kranz, bleiben Sie erst mal hier, man kann die Intelligenz eines Landes nicht ewig ausgrenzen !“.  Nun ja, was ist schon ewig ...

Sie können sich aber sicher vorstellen, dass ich es schon als paradox empfinde, wenn ich fast 15 Jahre an sensiblen Stellen für die  Sicherheit der Bundesrepublik arbeiten durfte, aber für die Zeit, in der ich die Qualifikation und die Erfahrung für diese Arbeit erworben habe, mit Rentenstrafe belegt werden.

Und noch ein Gedanke scheint mir in diesem Zusammenhang wichtig, um Ihre Aufmerksamkeit auf diese Problematik zu lenken. Dem Ruf: „Stasi in die Produktion !“ sind damals viele Mitarbeiter gefolgt, abgesehen von denen, die direkt in die Dienste der Bundesrepublik übernommen wurden. Hat sich jemals schon jemand damit beschäftigt oder gar nachgefragt, was denn aus den ehemaligen MfS Mitarbeitern in der „Produktion“ geworden ist ? 

Das Ergebnis einer solchen Untersuchung würde Sie überraschen.  Vielleicht könnte es Ihnen aber auch bei Ihrer Entscheidungsfindung helfen oder wenigstens dazu beitragen hinter den Klage- und Opfermauern der „Wir-sind-das-Volk-und-wollen-kein-Hartz-IV-Reform“ ein wenig Klarheit über die aktuelle Situation der ehemaligen Mitarbeiter des MfS und ihre Leistungen zu erkennen. Sie werden nämlich feststellen, dass in der gesamten Bundesrepublik, nicht nur im Sicherheitsbereich, beim Wachschutz oder der technischen Ausrüstung von Bürogebäuden bis zu Hochsicherheitseinrichtungen, ehemalige Mitarbeiter eine ausgezeichnete und wichtige Leistung für dieses Land erbringen.  Sie werden auch feststellen, dass in den neuen Bundesländern nicht wenige Unternehmen von ehemaligen MfS Mitarbeitern gegründet und heute noch geführt werden und, dass diese Unternehmen Arbeitsplätze geschaffen haben. Und sie werden auch feststellen, dass diese Menschen, trotz aller heute vorwiegend in der Presse vorkommenden Anfeindungen, auf dem Boden des Grundgesetztes stehen und eine zuverlässige Arbeit in der Wirtschaft, oder wo immer sie sind, leisten.  Mit der gleichen „Einsatzbereitschaft“, mit der sie damals nicht auf den 16-Uhr-Feierabend geschaut haben und mit der gleichen Disziplin, die sie gelernt haben und mit der sie heute im Arbeitsprozess tätig sind, helfen sie heute dieses Land voranzubringen.  Sicher gibt es Ausnahmen, wie überall, aber eins sollte man ihnen auch zugute halten, nicht Egon Krenz allein ist es zu verdanken, dass sie 1989 nicht zu den Waffen gegriffen und auf Demonstranten geschossen haben.

Ich möchte meine Petition nicht mit den vielen juristischen Spitzfindigkeiten und verklausulierten Gerichtsbeschlüssen, Verfassungsargumenten, etc. abschließen, die Sie sicher zur Genüge kennen.

Vielmehr möchte ich an sie appellieren mitzuhelfen, im fünfzehnten Jahr  einen Schlussstrich unter das Kapitel Rentenstrafrecht zu ziehen und dazu einfach eine ehrliche Analyse zu Rate zu ziehen über das, was die Mitarbeiter des MfS im Einzelnen vor dem Beitritt und danach getan haben, welche Beitrag sie heute in und für die Bundesrepublik Deutschland leisten. Sie können annehmen, dass keiner von Ihnen (abgesehen von einigen, die der Entwicklung einfach nicht mehr folgen können) jetzt die DDR wiederhaben möchte. Wir haben uns in der Bundesrepublik eingerichtet, trotz unserer Vergangenheit. Wir leben in diesem Land und nutzen die Möglichkeiten, aber auch Annehmlichkeiten, die uns diese Gesellschaft bietet, wenngleich wir auch seine Probleme kennen und wie normal Sterbliche darauf reagieren.

Ich glaube, dass es diesem Land und seiner inneren Einheit mehr nützen würde, wenn die Betroffenen [2] nicht mehr durch Rentenstrafen belegt würden, die ohne Ansehen der Person, ohne Einzelfallprüfung praktiziert werden und auf „Vermutungen und Annahmen“ beruhenden „Analysen“ über ihre Einkommen basieren. Diese dauernde Ungleichbehandlung ohne tatsächlich nachgewiesene Schuld und die ihnen aufgebürdete Last, als Ersatzprügelknabe für die Partei- und Staatsführung der DDR herzuhalten, rechtfertigen 15 Jahre nach der Einheit weder ihre damaligen tatsächlichen Arbeit, noch die im Einigungsvertrag getroffenen Festlegungen und entsprechenden Gesetzen der letzten  DDR-Regierung und schon gar nicht ihre Leistungen in und für die Bundesrepublik in den vergangenen 14 Jahren. 

In der Hoffnung auf Ihr Verständnis und Ihre Sachkunde bei der Behandlung meiner Petition verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

 

xxxxxxxxxxxxxxxx
ehemals Stellvertretender Leiter des Staatlichen Funkbetriebes der DDR,
Offizier im besonderen Einsatz mit dem Dienstgrad Oberstleutnant im Jahre 1989

 



[1] Das MfAA der DDR besaß bis 1975 einen eigenen Diplomatischen Funkdienst, der danach zu einer Nachfolgeeinrichtung mit dem Namen „Staatlicher Funkdienst der DDR“ (SFD) umgewandelt wurde. Später wurde der SFD dem MfS direkt unterstellt, blieb aber nach außen hin eine Nachfolgeeinrichtung des MfAA. Am 1.1.1990  wurde der SFD wieder in das MfAA eingegliedert und gehörte ihm bis zur Abwicklung im September 1990 an.

[2] Entsprechend der dem BverfG vorliegenden „Sachbewertung veröffentlichter Personaldaten und versicherungspflichtiger Dienstbezüge der Mitarbeiter des MfS der ehemaligen DDR“, Berlin, Juli 2002, Autoren: Dr. Lothar Welschmied und Dipl.-Ing. Herbert Kranz, sind etwa 72.000 ehem. Mitarbeiter des MfS direkt betroffen, hinzu kommen Witwen und Waisen, derzeit ca. 12 – 15.000 Rentner. Die Anzahl der Rentner wird bis zum Jahre 2025 auf ca. 25.000 und bis 2036 auf ca. 35.000 anwachsen. Erst im Jahre 2050 wir der letzte ehemalige Mitarbeiter des MfS gestorben sein. Diese aber werden den größten Teil oder ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik verbracht haben.