An das
November 2010
Bundesverfassungsgericht
z. Händen
des Herrn Präsidenten,
Prof. Dr. Voßkuhle
Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe
Verehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Voßkuhle!
11011 Berlin
z. Hd. Herrn Dr. Guttmacher
Diesen
Brief an Sie drängt es mich zu schreiben, quia ex abundantia cordis os loquitur[1]
und weil ich mir außer Ihnen keinen anderen Adressaten weiß.
Es
beunruhigt mich, daß Ihr 1. Senat am 6. Juli 2010 in einem Verfahren zur
verfassungsrechtlichen Prüfung des § 6 Abs. 2 AAÜ(1 BvL9/06 un d 1 BvL2/08)
Rentenkürzungen für ehemalige Mitarbeiter des MfS für verfassungskonform
erklärte. Damit wird das Rentenrecht, das eo ipso wertneutral sein muß, soll
der Rechtsfrieden nicht aufgehoben werden und in Willkür enden, aus allen
Angeln gehoben.
Ich bin 1953 als Sechzehnjähriger vom
damaligen stalinistischen Terror verfolgt worden, bin anerkannter politischer
Flüchtling nach den LAG und floh unter Schwierigkeiten in die Bundesrepublik
Deutschland, weil ich in einem rechtssicheren Räume leben wollte. 2005
heiratete ich eine verwitwete Klassenkameradin aus Kindertagen, die zur Zeit
der DDR als Stenophonotypistin Dienst beim MfS in Schwerin tat. Durch sie muß
ich nun miterleben, wie der von mir geschätzte Rechtsstaat an ihr schuldig
wird, weil er an ihr mit dem Rentenstrafrecht diffuse Rache übt für Taten, die
sie nicht beging und für die sie kein Gericht schuldig sprach. Man verweigert
ihr von den erworbenen 1,4 Rentenpunkten 0,4 Punkte. Dies ist eine dauernde
Demütigung, die zu diesem Staat nicht gehören darf.
Damit
Sie alle meine Gedanken kennenlernen, lege ich Ihnen eine Kopie meines Briefes
an den Petitionsausschuß des Bundestages vom 9. Oktober 2005 bei, der alles
erklärt und mir die Mühe erspart, doppelt reden zu müssen.
Ich
hege Ihnen gegenüber die Bitte, meinen Brief den Mitgliedern Ihres 1. Senates bekanntzumachen.
Ich
grüße Sie mit einem Wort aus Goethes Faust:
„Es erben sich Gesetz'und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und
rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
Weh
dir, daß du ein Enkel bist!
Vom
Rechte, das mit uns geboren ist,
Von
dem ist, leider nie die Frage!"
________________________
[1] In der Übersetzung Martin Luthers: „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“
Anlage:
An den
Oktober 2005
Petitionsausschuß des Deutschen
Bundestages
Platz, der
Republik 1
Nachrichtlich:
1. An
den Herrn Innenminister, Dr. Otto Schily, persönlich
Bundesministerium
des Innern, Alt Moabit 101 d, 10559 Berlin
2. Herrn Dr. Dieter
Wiefelspütz, Innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Betr.: Unterschiedslose
"Strafrente" für ehemalige Mitarbeiter des MfS/AfNS
Sehr geehrter Herr
Dr. Guttmacher l
Damit Sie meine tiefempfundene staatsbürgerliche
Unruhe und die daraus erwachsene Beschwerde bei Ihrem Ausschuß verstehen
können, muß ich mein Leben kurz beschreiben.
Geboren am 13. Januar
1937 in Güstrow in Mecklenburg, aus einer Gärtnerfamilie stammend, deren
Mitglieder diesen Beruf seit 1830 innehatten. Ich wäre die 5. Generation
gewesen. Ca. 1954 durch das Ulbricht-Regime ohne Gerichtsurteil und
entschädigungslos enteignet. Aufgewachsen unter zwei totalitären Regimen.
Intimste Gegnerschaft nicht nur meiner Eltern, sondern der ganzen Familie gegen
beide Regime. Die in unserem Betrieb und Haushalt arbeitenden Franzosen (5),
Ukrainer (1) und Bulgaren (2) wurden nicht als Fremde behandelt. Mit der Familie des
einen Franzosen verbinden uns bis heute in 4. Generation nahezu
verwandtschaftliche Beziehungen. Erst vorgestern erhielt ich wieder eine Einladung zur
Hochzeit des Urenkels. Einem anderen Franzosen verhalf meine Mutter zur
gelungenen Flucht aus Nazideutschland, indem sie ihn verproviantierte. Ich
wurde täglich ermahnt, in der Schule nicht verlauten zu lassen, daß die
Kriegsgefangenen mit an unserem Tische aßen und abends im Wohnzimmer
fremdsprachliche Nachrichten der britischen BBC hören durften. Dafür
beschützten uns diese Kriegsgefangenen beim Einmarsch der Roten Armee vor den
Ausschreitungen der Soldaten.
In der DDR-Zeit wurde
mir ein weiterer Schulbesuch verweigert, da mein Vater als „Ausbeuter“ galt. Aus der
1952 angetretenen Forstlehre wurde ich im Mai 1953 entfernt, weil ich mich
öffentlich über Stalins Tod freute und abfällige Bemerkungen über die
Geschichte der KPdSU (B) in der Berufsschule machte. Wegen der Enteignung des
elterlichen Betriebes und da ich politisch unliebsam aufgefallen war, hatte ich
in der DDR keinerlei Lebensraum mehr. So floh ich 1953 als Sechzehnjähriger in
die Bundesrepublik Deutschland, um endlich in einem demokratisch legitimierten
Staate leben zu können. Ich bin anerkannter politischer Flüchtling und besitze
darüber den Flüchtlingsausweis C nach dem LAG.
Sie sehen, daß ich schon von meiner Herkunft her nicht den
geringsten Anlaß habe, irgendwelche Neigungen für Nazideutschland oder die
Staatsform der DDR aufbringen zu können. Ich schloß meine Schul- und
Hochschulausbildung in der Bundesrepublik ab, wurde Sonderschullehrer und war hier
in Bredstedt als loyaler Staatsdiener 28 Jahre Rektor der von mir gegründeten Schule für Lernbehinderte.
In meiner Güstrower Jugendzeit hatte ich eine
Klassenkameradin, bis wir beide 1952 die Schule beendeten. Meine Flucht und die
Teilung Deutschlands sorgten dafür, daß zwischen uns keine Bindung entstehen
konnte.
50 Jahre später begegneten wir uns wieder. Sie war seit
7 Jahren Witwe und hatte 3 erwachsene Kinder. Am 3. März d. J. haben wir als inzwischen alt Gewordene geheiratet.
In unserer Schulzeit fiel mir Rita durch ihre unaufdringliche
und liebenswürdige Zuverlässigkeit auf. Ihre Schulleistungen wurden
hervorgehoben. Aber sie stammte aus völlig anderen Verhältnissen. Sie wuchs in
der Familie in sozialistische Denkformen hinein und sah in der entstehenden DDR
mangels anderer
Informationen einen politischen Neuansatz, für den es sich zu arbeiten lohne,
fern von Krieg, Nazitum und sozialer Ungerechtigkeit. Den grundsätzlichen
Irrtum in ihrem Denken und Streben bemerkten sie und ihr vor 10 Jahren
verstorbener Mann erst in reiferem Lebensalter. Ihren beruflichen Werdegang
begann sie in der Güstrower Stadtverwaltung. Überragende Leistungen führten sehr
schnell dazu, zur Sekretärin des Bürgermeisters berufen zu werden. Da sie nicht wie
ich in einer innerlichen Abneigung zum entstehenden DDR-Staat lebte, sah sie
nichts dabei, zum Ministerium für Staatssicherheit zu wechseln, als dieses befähigte
Kräfte für anspruchsvolle Büroarbeit suchte. Sie argumentierte vor sich
selbst, jeder Staat brauche seine Exekutivorgane wie Feuerwehr, Verwaltung,
Polizei und Sicherheitsdienst.
So hat sie dort nur Innendienst als Phonostenotypistin
geleistet. Als Mutter dreier Kinder ganztägig arbeitend war sie 1979
kräftemäßig nicht mehr fähig,
allen Anforderungen zu genügen. Sie beendete ihre Arbeit beim MfS, um nach einer Erholungsphase in der
allgemeinen Wirtschaft der DDR mit verminderter Stundenzahl zu arbeiten.
Als sie 1989 arbeits- und später rentenmäßig
als Stasimitarbeiterin gedemütigt wurde, brach für sie die Welt zusammen. Dies
um so mehr, als ich 50 Jahre später merken mußte, daß sie der liebenswürdige,
hilfsbereite und friedliche Mensch unserer Jugendjahre geblieben war. Anders
wäre eine Verbindung zwischen uns auch nicht möglich gewesen.
Nun
muß ich jeden Monat miterleben, wie dieser Staat, dem ich wegen seiner grundgesetzlichen
Ordnung 36 Jahre als Landesbeamter loyal dienen konnte, diese nun mit mir
verheiratete Frau Monat für Monat mit einem Rentenstrafrecht pönt für Ereignisse, die sie nie beging, indem er ihr die 1,4 Rentenpunkte
auf 1,0 zusammenstreicht. Dazu werden höchstrichterliche Feststellungen
von der Legislative nicht beachtet, oder es werden zwischen NVA, Mdl, der
Reichsbahn und den Zollbehörden gegensätzliche Rentenregelungen zum MfS/AfNS
getroffen, die nur als gesetzliche Ungleichbehandlungen und Störungen des
Rechtsfriedens aufgefaßt werden können.
Es ist selbstverständlich, daß staatsnahe Personen, die
sich in der DDR gegen eigene Gesetze und allgemeine Menschenrechte vergingen,
abgeurteilt werden müssen. Aber dafür sind das StGB und die Gerichte zuständig,
nicht die erworbenen
Rentenansprüche.
Herr Dr. Wiefelspütz, MdB, hat im Fernsehen
am 15. 12. 2004 ausgesagt, daß es "nach geltendem Recht für alle Deutschen
keine Vermengung von Sozial- und Strafrecht gäbe. Auch ein Verbrecher könne
im Alter über das verfügen, was er sich erarbeitet habe."
Ich habe Herrn Dr. Wiefelspütz am 16. 5. 2005
brieflich gefragt, was er bisher getan habe, diese eben doch stattfindende
Vermengung beider Rechte aufzuheben. Aber er hat mir bisher nicht geantwortet.
Ich bin ungefähr ein Achtzigmillionstel Souverän dieses Staates (Art. 20,2
GG). Ist das die neue Art der pol. Klasse, als MdB seinem Souverän nicht mehr
zu antworten?
Meine Frau hat sich
nicht als Verbrecherin Rentenansprüche erarbeitet. Sie hat nie einem Mitmenschen
etwas zuleide getan. Ihr ganzer Charakter läßt das nicht zu. Warum machen die Mitglieder
der Legislative nicht Unterschiede zwischen einer Kochfrau, einem Hausmeister,
einem Aktenboten, einer Sekretärin und
den Befehlsträgern beim MfS? Meine Frau hatte keinerlei Weisungsbefugnis. Wie sollte sie da Menschen gequält
haben? Bestraft werden kann nur angesichts gerichtlich festgestellter
Verbrechen. Meiner Frau wurden von keinem Gericht Vergehen vorgeworfen. Wofür
wird sie dann bestraft? Dafür, daß sie das Schicksal hatte, im Gebiet der
späteren DDR geboren
zu werden? Es konnten nicht alle DDR-Bürger fliehen. Sie war auch kein Spitzel, der andere "ans Messer" lieferte.
Haben der BND oder Verfassungsschutz keine Informanten? Ich will darüber
nicht rechten, jeder Staat muß seine Ordnung wahren. Aber man kann nicht Erich und Margot Honecker nach Chile
ausreisen lassen, ihnen mit anderen Befehlsgewaltigen eine hohe Rente
zahlen und deren Befehlsempfänger pauschal
über die Rente bestrafen.
Einige
Abgeordnete wie Erika Lotz (SPD) und Maria Michalk (CDU-CSU) bemühen in Richtung MfS und Rentendiskussion Begriffe wie
"Selbstprivilegierung", „Stasimitgliedschaft“,
"Systemtäter", "Stasi-Funktionäre", "Stasi-Spitzenfunktionäre." Nach Art einer Kollektivstrafe
werden diese Begriffe differenzlos auf alle Personen angewandt, die dem Rentenstrafrecht
unterliegen. Berthold Brecht fragte einmal: „Cäsar eroberte Gallien. Hatte
er nicht wenigstens einen Koch
bei sich?“ Ich frage nun bei derartig undifferenziertem Rechtsempfinden:
War Cäsars Koch genauso schuldig für Cäsars Verbrechen wie Cäsar selbst?
Und
was die "Selbstprivilegierung" angeht, so gibt es im heutigen Deutschland
außer den Parlamentariern keine einzige
Menschengruppe, die ihre Gehälter selbst bestimmt. Aber alle die oben genannten,
verurteilenden Begriffe treffen meine Frau in keiner Weise. Und wenn Herr
Wiefelspütz sagt, daß selbst ein Verbrecher - also Mörder, Totschläger, Diebe
- im Alter das genießen kann, was er sich erarbeitet hat, meine Frau
aber zu keiner derartigen Gruppe zählt,
was ist sie dann eigentlich?
Ich bin in meinem Rechtsverständnis tief verletzt, denn
ich bin damals nicht aus der DDR geflohen, um jetzt der rechtlichen Willkür der
Legislative in Gestalt von
Abgeordneten ausgesetzt zu sein, die in dieser Sache rechtliches Maß und Ziel verloren und unterschiedslose Rache
an Wehrlosen üben.
Auch das Argument aus dem Bundestag, man könne das Rentenstrafrecht
schon mit Blick auf die DDR-Opfer nicht aufgeben, zieht nicht, denn die, die
so sprechen, waren erst kürzlich gegen die über 1000 Mahnkreuze für die Maueropfer,
und viele, die in der DDR in Gefängnissen schmachteten, erhalten schäbigste Entschädigungen oder müssen jahrelang
darum kämpfen. Viele der Mitglieder meiner Familie gehören zu Opfern der Bodenreform,
einige verloren dabei ihr Leben. Wo waren denn 1991 die Rücksichten mit "Blick
auf die Opfer", als es galt und als man die Möglichkeit hatte, das damalige
Unrecht zu beseitigen? Nein, man hatte keinen "Blick auf die Opfer",
man perpetuierte das Unrecht, indem man die Enteignung wiederholte (Art.
14 GG).
Das Bundesverfassungsgericht hat die Anwendung des
Rentenstrafrechts auf die übrigen Staatsnahen der DDR als verfassungswidrig
zurückgewiesen, weil der Gesetzgeber der BRD nicht nachgewiesen hat, daß sie
überhöhte Einkommen genossen. Gegenüber den Mitarbeitern des MfS verfährt das
BVerfG genau umgekehrt. Sie müssen beweisen, daß die Kürzung auf 1,0 Rentenpunkte
eine verfassungswidrige
Ungleichbehandlung darstellt.
Was soll man nun aber über die Birthler-Behörde
und das von Herrn Dr. Schily geleitete Innenministerium sagen und denken,
die sich weigern, die vorhandenen statistischen Unterlagen herauszugeben,
um die Frage zu klären, in welchem Verhältnis die Einkommen
im MfS zu dem in der Volkswirtschaft tatsächlich standen. Welche rechtliche
Grundlage gestattet es überhaupt grundsätzlich, die Höhe einer Rente
mit dem durchschnittlichen Bevölkerungseinkommen in Beziehung zu setzen?
In unserem Staat erhält doch jeder seine Rente in Relation zu seiner Lebensarbeitszeit
und seinen Zahlungen in die Rentenkasse. Wäre es nicht so und
dächte man das Argument der Rentenbindung an das durchschnittliche Bevölkerungseinkommen
zuende, dann müßten jeder Arbeiter mit der Schaufel, jeder
Generaldirektor und jeder Bundestagspräsident die gleiche Rente erhalten.
Nein, derartige Gedankengeburten sind nichts weiter als rabulistische Verlegenheitsargumente,
Ich habe meine Frau vielfach befragt, wie ihr Einkommen
damals aussah. Ich konnte keine Spur von Überhöhung entdecken. Auch hatte meine
Frau keine Gelegenheit, in irgendwie privilegierten Geschäften einzukaufen. Im
Gegenteil, meine Frau mußte viele Überstunden leisten, die nicht vergütet
wurden.
Nein, mit empfindsamem Rechtsdenken hat dies alles nichts
zu tun. Die politische Nomenklatur hat sich argumentativ verrannt in Zorn, Rachsucht, vorgetäuschtem
Mitleid und mangelnder Einsicht in die Lebensbedingungen und Psyche der Menschen,
die in einem totalitären System leben mußten.
So stehe nun ich, der ich allen Grund habe,
die ehem. DDR abzulehnen, vor der paradoxen Situation, selbst Mitarbeiter des
MfS verteidigen zu müssen, weil
ich den Rechtsfrieden auf Dauer verletzt sehe.
Da
mein geistliches Fundament neutestamentlich ist, urteile ich in dieser Sache
auf der Basis eines Wortes aus dem Jacobus-Brief, (Jac. 1, 19 - 20): "Ein
jeglicher Mensch sei schnell, zu hören, langsam aber,
Ich möchte diesem Staate gerne in sicherem Rechtsempfinden gedient
haben und weiter dienen können. Was ich angesichts meiner aus der DDR
stammenden Frau an jedem Monatsersten erlebe, läßt mich an diesem Wollen irre
werden.
Ich stelle deshalb an Sie und den Petitionsausschuß den Antrag, dafür
zu sorgen, daß die den Rechtsfrieden untergrabende Vermengung von Sozialrecht
und Strafrecht beendet wird, d. h. Straftäter sind im Rahmen des StGB abzuurteilen
und Renten sind entsprechend den erarbeiteten Ansprüchen auszuzahlen, wenn
keine Straftaten vorliegen. Dabei ist zu beachten, daß unser Rechtssystem den Begriff der Kollektivstrafe
nicht kennt.
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