„Heimatschutz“ für die Gier

 

Die sozialen Folgen der schwersten Krise, die Deutschland seit acht Jahrzehnten betroffen hat, sind für viele noch nicht spürbar. Die Banker, von der fürsorglichen Bundesregierung in vielen Fällen mit milliardenschwerem neuen Spielgeld aus Steuergeldern versorgt, befinden sich schon längst wieder im Spekulationsrausch. Und bereiten so die nächste Krise vor.

 „Der Spiegel“ kommentiert unter der Überschrift „Rückkehr der Gier“: „Das Casino hat wieder geöffnet. Viele Investmentbanken machen erneut gewaltige Gewinne, sie fahren die Risiken hoch und locken mit hohen Gehältern – als wäre nichts geschehen. Als wären es nicht genau diese Verhaltensweisen gewesen, die das Finanzsystem im Herbst vergangenen Jahres an den Rand des Kollapses gebracht und die Weltwirtsschaft in die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hatten.“ Und tatsächlich stärkt und fördert nun die an den Kapitalmärkten ausgelöste globale Krise schon wieder die Kapitalmärkte! Allerdings entbehrt dieser Vorgang keineswegs der Logik: Das Grundgesetz des Kapitalismus, nämlich das Streben nach Maximalprofit, nach höchsten Renditen, wirkt eben so lange, wie der Kapitalismus existiert.

Vergeblich warnte der bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler Miegel Anfang Juni in der „Frankfurter Allgemeinen“: „In der Krise dieses Jahrzehnts wackelten Unternehmen. In der gegenwärtigen Krise wackeln Unternehmen und Banken. In der nächsten Krise, die jetzt vorbereitet wird, werden Unternehmen, Banken und Staaten wackeln.“

Warnungen wie diese waren schon beim Vorgänger Schäubles angekommen. „Vorsorge“ zu treffen, um die Sicherheit und den Schutz des Wirtschafts- und Finanzlebens zu gewährleisten, war und ist vornehmste Verpflichtung des jeweiligen Innenministers. Um möglichem Volkszorn infolge immer radikaleren Sozialabbaus und massiver Abwälzung der Krisenfolgen auf den Bürger begegnen zu können. Immerhin hatte DGB-Chef Sommer vor Monaten soziale Unruhen prophezeit.

Seit längerem wird neben dem Sozialabbau ein Abbau bürgerlicher Rechte und Freiheiten betrieben. Die Aushöhlung des Grundgesetzes ist Programm. Die Militarisierung der Gesellschaft schreitet voran. Ein gravierendes Beispiel dafür ist der in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Aufbau eines „Heimatschutzes“, sind Maßnahmen für eine „erweiterte“ bzw. „vernetzte Sicherheit“. Die Öffentlichkeit wird indes zur Ablenkung der gegen sie gerichteten Maßnahmen im Rahmen einer seit Jahrzehnten geübten und praktizierten Manipulierung immer wieder auf „drohende terroristische Anschläge“ gegen die „Heimat“ eingestimmt.

Hinter „Heimat“ verbirgt sich das Machtinteresse der Herrschenden, hinter „Sicherheit“ der Schutz des Treibens des immer gefräßigeren Raubtierkapitalismus, wie bürgerliche Intellektuelle das System charakterisieren.

Eine entscheidende Rolle in der Sicherheitspolitik des Staates spielt die Bundeswehr. Sie ersetzt im Rahmen des sogenannten Heimatsschutzes immer mehr zivile Strukturen. Einen Vorgeschmack, wie sich die Bundesregierung „Heimatschutz“ vorstellt, wurde während des G 8-Gipfels in Heiligendamm und in Kehl anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Konstituierung der NATO demonstriert.

Schon auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2005 hatte die Bundeskanzlerin die Akzente für den Bundeswehreinsatz im Innern und den „Heimatschutz“ gesetzt: „Die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen zunehmend. Internationale Einsätze unter Beteiligung Deutschlands und Heimatschutz sowie Einsatz der Bundeswehr im Innern sind deshalb zwei Seiten ein und derselben Medaille.“ Im Weißbuch der Bundesregierung von 2006 wurde dann eine „vernetzte Sicherheit“ als neues Leitkonzept der bundesdeutschen Sicherheitspolitik konstatiert. Sicherheitsbedrohungen, und zwar nicht nur militärische, sondern beispielsweise auch gesellschaftliche, müssten national wie global präventiv bekämpft werden.

Innenminister Schäuble fasste zusammen: „Ob völkerrechtlicher Angriff oder innerstaatliches Verbrechen, ob Kombattant oder Krimineller, ob Krieg oder Frieden: Die überkommenen Begriffe verlieren ihre Trennschärfe und damit ihre Relevanz.“

Der Publizist Lorenz Knorr schlüsselt auf,  was aus Sicht bundesdeutscher Sicherheitspolitik unter „Heimatschutz“ und „erweiterter“ oder „vernetzter Sicherheit“ zu verstehen sei. Es gehe um die „kritische Infrastruktur“: „Das sind die Kraftwerke, Verkehrswege, Flughäfen, Wasserstraßen, Banken, Konzernzentralen, Kommunikationssysteme, Fernsehen u.a. Um diese wird ein flächendeckendes Netz verbundener Sicherheit aufgebaut. In ca 500 Städten der Bundesrepublik installierte man bereits die befehlsgebenden Gremien. Der jeweilige Oberbürgermeister, der örtliche Polizeipräsident und ein General der Streitkräfte bilden diese Spitze des Heimatschutzes“. (Das Amt des OB wird in diesem Militarisierungsprozess in den Dienst obrigkeitsstaatlicher Praktiken eingegeliedert.)

Die Einsatzkräfte rekrutieren sich aus mit modernsten Waffen ausgerüsteten Polizeikräften, Feuerwehren, Technischem Hilfswerk, nichtuniformierten, aber modern bewaffneten Reservisten und anderen Kräften. Mit der Einbeziehung Letzterer soll der massive Einsatz der Bundeswehr im Innern (zunächst) weitgehend vermieden werden. Die Bundeswehr  ist ja übrigens durch die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) sowieso mit von der Partie. ZMZ ist militärischerseits „ein eigenständiger Aufgabenbereich innerhalb der Bundeswehr“.

Die Bewaffnung der Polizei und der dann auch zivil gekleideten Reservisten ist mit „nonlethal weapons“, mit „nicht-tödlichen Waffen“ konzipiert. Auf diese Weise sollen die Einsatzkräfte, die beim Vorgehen gegen Aufständische, Streikende oder Demonstranten zwischen körperlicher Gewalt und der Anwendung der Schusswaffe wenig Spielraum besitzen (Schlagstock oder Reizgas), eine Alternative erhalten. Die „nicht-tödliche Waffe“ soll zwar, wie es heisst, kaum dauerhaften Schaden anrichten, aber Personen wirkungsvoll „und im besten Fall auf Distanz kampfunfähig machen.“

So ergänzt die Staatsgewalt mit dem „Heimatschutz“ ihre Machtmittel, um auf mögliche Widerstandsaktionen der von den Wirkungen  der Krise Betroffenen vorbereitet zu sein.

Noch ist es ruhig im Land und herrscht politische Friedhofsruhe. Noch bleibt es bei so manchem beim Frust und bei unterdrückter Wut über die Fürsorge, die die Bundesregierung den Hasardeuren der Finanzwirtschaft und den Bossen großer Konzerne angedeihen lässt. Noch ist nirgendwo auch nur im Ansatz der Ruf zu hören: „Wir sind das Volk!“

Aber – noch ist ja nicht die Rechnung der Krise präsentiert. Und - noch ist die Bundestagswahl nicht absolviert.

 

Georg Grasnick