Lebensverhältnisse und Alterseinkommen

Die Unterschiede vor und nach dem Beitritt der DDR

Dieter Bauer, Erfurt am. 27.06.2006

 

16 Jahre nach der politischen Einheit trennen die Beitrittsbürger noch immer Welten bei den Alterseinkommen, während die Lebenshaltungskosten längst an das Niveau der alten Länder angeglichen sind.

Die politischen Rahmenbedingungen im Osten und Westen Nachkriegsdeutschlands bewirkten unterschiedliche Wirtschafts- und Sozialstrukturen.

Ein wesentlicher und charakteristischer Unterschied im Osten war neben der Verstaatlichung der Betriebe und dem genossenschaftlichen Zusammenschluss kleiner Wirtschaftseinheiten die zentrale Leitung der gesamten Wirtschaft. Zunehmend übernahm der Staat die Leitungs- und Lenkungsfunktion in allen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens mit allen uns bekannten Vor- und Nachteilen.

Aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen im Osten Nachkriegsdeutschlands (Reparationsleistungen an die SU, verlorener Zugang zu Rohstoffen, fehlende Grundstoff-industrie) bestand von Anfang an ein Nachteil gegenüber dem Westen Deutschlands.

Die Versorgung der Bevölkerung wurde durch ein komplexes System gesichert. Dazu gehörten neben den sozialen und kulturellen Leistungen der Betriebe (Kultur- und Sozialfond) z. B. für Urlaubsplätze, Kinderferienbetreuung, Pausenversorgung, Kulturveranstaltungen usw. vor allem staatliche Versorgungsleistungen in Form von Subventionen für die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den wichtigsten subventionierten Grundbedürfnissen zählten das Wohnen, Wasser- und Energieversorgung, Grundnahrungsmittel, tägliche Kleidung, kostenlose Bildung, Kultureinrichtungen, Absicherung im Falle von Krankheit, Unfall/Invalidität und im Alter für insgesamt einen Versicherungsbeitrag von 10% des Einkommens bis 600 M usw. Das alles war die real existierende „2. Lohntüte“, an der jeder Bürger teilhatte.

Nur vor dem Hintergrund dieser konstanten Preise für die Grundbedürfnisse des Lebens sind alle Einkommen der Beitrittsbürger wie Stipendien, Löhne, Gehälter und Renten vor 1990 zu bewerten. Nur in diesem Zusammenhang ist verständlich, dass niedrige Einkommen und die ohne Bedarfsprüfung gewährte Mindestrente ein zwar bescheidenes aber von Existenzangst freies Leben ermöglichte.

Der Umfang der staatlichen Subventionen erreichte die Höhe von 22% des Staatshaushaltes der DDR (Siegfried Wenzel in „Was war die DDR wert?“). Das entsprach einem realen Lohnwert aller Einkommen multipliziert mit dem Faktor 1,75.

Anders sah es mit den Preisen für Güter aus, die als Luxus eingestuft waren, wie z. B. PKW, Motorräder, Farbfernseher, HiFi- Geräte, hochwertige Haushaltgeräte usw., die unverhältnismäßig hoch waren und die man sich z. B. allein mit der Mindestrente nicht leisten konnte. Dennoch war nicht existenzielle Not die Ursache, wenn Menschen über das gesetzliche Rentenalter hinaus berufstätig waren. Da in der Regel Arbeitskräftebedarf bestand, waren die Einkommen nach Erreichen des Rentenalters von Steuern und SV- Beiträgen freigestellt – also Brutto gleich Netto und damit natürlich sehr attraktiv. Dieses Einkommen wurde zusätzlich zur Rente gewährt.

Der Begriff „Rente“ wurde in einem anderen Sinn verwendet, als das heute der Fall ist. Unter diesem Begriff wurden alle Elemente des Alterseinkommens zusammengefasst:

à die Sozialversicherungsrente für die Grundsicherung jedes Bürgers im Alter,

à verschiedene Betriebsrenten,

à Zusatzrentenversicherungen von 1947 und 1968,

à Gesamt- und Zusatzversorgungssysteme mit unterschiedlichen persönlichen 

     Beitragsleistungen, die wie die Beamtenversorgung oder die Zusatzversorgung des öffent- 

     lichen Dienstes der BRD die SV- Rente bis zu 90% des letzten Nettos aufgefüllt hat oder

     als Gesamtversorgung ausgelegt war,

à Freiwillige Zusatzrentenversicherung mit 10% Beitragsleistung auf das 600 M 

     übersteigende Einkommen.

Die Alterseinkommen wurden im Wesentlichen von der SV- Anstalt unter Trägerschaft des FDGB verwaltet.

Nach dem Beitritt der DDR änderte sich alles. Als hätte es keinen Staatsvertrag, keine Angleichung des Rechts der DDR an das Rechtssystem der BRD und keinen Einigungsvertrag gegeben, erfolgte eine Entwertung der im Erwerbsleben der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften im Rentenrecht durch die sog. „Gesetzliche Novation“, mit der Folge der Enteignung rechtmäßig erworbener Ansprüche und Anwartschaften.

Die entscheidenden Ursachen für die falsche Bewertung der Erwerbsbiographien mit enteignender Wirkung sind:

à Die Einkommen der DDR werden losgelöst von den Preisen, von der realen „2. Lohntüte“

     betrachtet.

à Die in der BRD aufgrund der seit 1960 bestehenden hohen Inflationsrate (s. Rentenver-

     sicherungsbericht 2004 S.91) notwendige Dynamisierung der Rente wird in der DDR 

     vermisst, weil die „2. Lohntüte“ als Teil einer komplexen Versorgung ignoriert wird.

à Teile erworbener Ansprüche werden gekürzt oder gar nicht gewährt.

à Wenn das 3- fache der DDR- Normalrente überschritten ist, wird pauschal unterstellt, dies

     Einkommen beruhe nicht auf Leistung, sondern auf Systemnähe.

à Mitarbeitern des MfS/AfNS und hauptamtlichen Mitarbeitern des Staatsapparates wird

     ohne Nachweis persönlicher Schuld pauschal die Rente gekürzt.

à Die Summe aller berücksichtigten Alterseinkommen wird einer Kappungsgrenze

     unterworfen

Die mit diesen enteignenden Einschnitten behafteten Alterseinkommen, die in der GRV- Ost zusammengefasst wurden, waren zum 1. 7. 1990 je Entgeltpunkt mit 30% des aktuellen Rentenwertes berechnet. Bis 2004 stieg der Wert des Alterseinkommens- Ost auf 87,9% des aktuellen Rentenwertes. Der Begriff „Aktueller Rentenwert“ ist genau definiert: Das Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten in einem Jahr ergibt 1 Entgeltpunkt (Eckrente). Für die Beitrittsbürger gibt es keinen „Aktuellen Rentenwert- Ost“, der dieser Definition entspricht, da eben nicht in gleicher Weise das Durchschnittseinkommen aus dem Erwerbsleben in der DDR der Rentenberechnung zu Grunde gelegt wird.

Die Anhebung von 30% auf 87,8% sei doch eine großartige Leistung, hören wir aus Regierungskreisen.

Und wieder werden die Lebenshaltungskosten aus den Betrachtungen ausgespart. In der Zeit, in der die Renten noch dynamisiert wurden, fielen die Subventionen aus der DDR-Zeit weg und wir erleben Preisexplosionen. Meine Wohnkosten haben sich verzehnfacht, die Kosten beim öffentlichen Verkehr haben das 20-fache überschritten usw. Einen repräsentativen Vergleich der Entwicklung der Kaufkraft unserer Alterseinkommen liefert die Untersuchung von Dr. oec. Ulrich Busch Wirtschaftswissenschaftler an der TU Berlin in Berliner Debatte Initial 16 (2005) 5 Seite 73 bis 92 wonach bei zugrunde gelegtem Warenkorb die Kaufkraft der Rente im Durchschnitt am 1.7. 1990 302 € betrug und am 1. 7. 2004 443 € erreichte. Damit beträgt der Zuwachs der realen Kaufkraft 46,7%,  während die Steigerung des Alterseinkommens- Ost das 2,93- fache beträgt. Die Lebenshaltungskosten haben sich also verdoppelt.

Die Alterseinkommen der Beitrittsbürger liegen erheblich hinter denen der Altbundesbürger. Offizielle Vergleiche stellen in der Regel die Höhe der GRV- Ost und – West gegenüber und erkennen an, dass die Lebensarbeitszeit der Beitrittsbürger höher war (Männer 12,5% , Frauen 34,5%), lassen aber außer Acht, dass die GRV- Ost alle gewährten Alterseinkommen aus dem DDR- Erwerbsleben enthält, während diese Alterssicherungsarten in der BRD neben der GRV .geleistet werden. Damit sind in der GRV- Ost Elemente enthalten, die nicht durch Beiträge zu finanzieren sind. In den Rentenversicherungsberichten wird auch dargestellt, in welcher Höhe die Bürger der alten Länder angeblich die Renten im Osten finanzieren, ohne zu berücksichtigen, dass mit den Berufspendlern im innerdeutschen Wanderungssaldo vom 3. Quartal 1989 bis Ende 2004 1740,2 Tsd. Beitrittsbürger in die GRV- West einzahlen und tatsächlich die Beitrittsbürger ihre eigenen Renten finanzieren.

Wie die Alterssicherungslage bei Berücksichtigung der Betrieblichen Altersversorgung, der Beamtenversorgung, der Zusatzversorgung des öffentl. Dienstes, der Altersversorgung der Landwirte und der Berufsständigen Versorgungswerke ist, zeigt der Alterssicherungsbericht 2005 treffend: Allein aus diesen Alterssicherungselementen erhalten die Männer der alten Länder den 1,63- fachen und die Frauen den 1,62- fachen Betrag (Berechnungen von Prof. Dr. M. Kaufmann, Jena). Dabei sind ihre Lebensversicherungen und Einnahmen aus Pacht/Miete und Ersparnisse aus selbst genutztem Wohnraum noch nicht berücksichtigt.

Wie das bekannte Positionspapier des Akademikerverbandes Dresden deutlich zeigt, steigen mit der Qualifikation auch die Abstände der Höhe der Alterssicherung im West- Ost-Vergleich bei gleicher Erwerbsbiographie.

Werden die Bruttorenten der Zugangsrentner betrachtet, wird die Dramatik der Entwicklung deutlich:

Durchschnittlicher Rentenbetrag     1992                                      2004

Männer                                            1205 €                                   889 €

Frauen                                               746 €                                   678 €

Unstrittig ist die Erkenntnis, dass die Folge aus allen bisherigen „Rentenreformen“ und der hohen Arbeitslosigkeit im Beitrittsgebiet zu einem hohen Maß an Altersarmut führen wird.

Bereits im 3. Thüringer Sozialbericht vom Januar 2003 Seite 48 wurde die Herstellung eines einheitlichen Rentenrechts und ein gleiches Rentenniveau, sowie die Beseitigung der Lücken der Rentenüberleitung für notwendig erachtet. Zu einer Bundesratsinitiative konnte sich die Landesregierung jedoch nicht durchringen.

Der Sprecher der CDU im Petitionsausschuss des Bundestages lies durch seinen Referenten

Timm Genet die Argumente zusammenfassen, mit denen Forderungen zur Beseitigung der Enteignungen und der diskriminierenden Ungleichbehandlung der Beitrittsbürger abgewiesen werden . Diese Argumente – mögen sie noch so unzutreffend sein – werden immer wieder unseren Forderungen entgegengehalten.

So wird es künftig nötig, in Auswertung aller offiziellen Dokumente abgestimmt und mit deutlicher Darstellung des solidarischen Miteinander unsere Forderungen zu publizieren und vorzutragen und dabei die Gegenargumente nicht nur zu widerlegen, sondern als Ursache der Diskriminierung anzugreifen und ihre Korrektur zum Gegenstand der Forderungen zu machen. Im Ergebnis sollte die Menschenrecht verletzende Wirkung der bestehenden Rechtspraxis herausgestellt werden.

 

Dieter Bauer