Sozialer Arbeitskreis

Treptow-Köpenick

 

 

Berlin, den 12.02.2009

Argumentation zum Alterseinkommen
aus aktuellem Anlass

 

Im Einigungsvertrag war die Angleichung der Lebensverhältnisse zugesichert. Dabei gibt es noch beträchtliche Restposten auf dem Gebiet der Löhne und Gehälter sowie auch der Alterseinkommen. Leider gibt es trotz vieler Ankündigungen seitens der regierenden Parteien bisher keine Lösungsvorschläge.

 

Zur aktuellen Situation:

 

l. Wegen des Zurückbleibens der Alterseinkommen der Rentnerinnen und Rentner in den beigetretenen Ländern ist die Angleichung des Rentenwertes Ost an den aktuellen Rentenwert von besonderer Bedeutung. Warum?

Im Alterssicherungsbericht 2005, ein jüngerer liegt nicht vor, wird ausgewiesen, dass die Alterseinkommen in Deutschland im Osten zu 99 % und im Westen zu 74 % aus der gesetzlichen Rente gespeist werden. Das führt dazu, dass die Einkommen der Senioren im Beitrittsgebiet für Ehepaare 66 %, für allein stehende Männer 85 % und für allein stehende Frauen 95 % der entsprechenden Bezüge im Westen betragen.

Darüber hinaus enthalten statistische Angaben über die Ostrenten Zahlbeträge für Berufsgruppen, die in der Rentenstatistik West nicht erscheinen, weil sie als ehemalige Beamte Pensionen erhalten. Das betrifft z.B. Bahn- und Postbeamte, Hochschullehrer, Polizisten, Offiziere, Mitarbeiter im Regierungsapparat. In der DDR gab es aber keinerlei Beamte, alle betreffenden Personen waren Angestellte.

 

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Franz Thönnes, hat In seinem Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 09.11.2006 u.a. folgendes mitgeteilt: „Ein Vergleich der Einkommenssituation von Rentnern in Ost und West ausschließlich auf der Basis der gesetzlichen Rente ist unsachgemäß, weil er unterschlägt, dass die Absicherung im Alter nicht allein durch die Rentenversicherung erfolgt, sondern auf mehreren Säulen (betriebliche Altersvorsorge als zweite und private Vorsorge als dritte Säule) beruht. Insofern gibt es bei den gegenwärtigen Rentnerinnen und Rentnern aber noch deutliche Unterschiede zwischen West und Ost." Inzwischen ist bei ihm von dieser zutreffenden Feststellung allerdings nichts mehr zu spüren.

 

Die entstandene Versorgungslücke lässt sich bei der derzeitigen Rentnergeneration gar nicht mehr und bei den heute 50 oder 60 Jahre alten Bürgern der neuen Bundesländer wegen der gravierenden Arbeitslosigkeit kaum oder auch nicht schließen. So ist die Angleichung des Rentenwertes die einzige Chance zur Verbesserung der Einkommenssituation.

 

Bei Anpassung des aktuellen Rentenwertes Ost an den aktuellen Rentenwert käme gegenwärtig das Einkommen der Rentner im Osten bei Ehepaaren auf ca. 75 %, bei allein stehenden Männern auf etwa 96 % und für allein stehende Frauen auf ca. 107% der entsprechenden Alterseinkommen im Westen. Angesichts der im Beitrittsgebiet nachgewiesenen Erwerbsbiographien und der weitaus höheren Erwerbstätigkeit von Frauen kann die behauptete Besserstellung nicht nachvollzogen werden.

 

2. Besonders dramatisch ist die derzeitige Entwicklung im Beitrittsgebiet für Neurentner und künftige Rentenjahrgänge. Die reale Arbeitslosigkeit, d. h. die Summe aus offizieller Arbeitslosigkeit plus Menschen in Maßnahmen plus Minijobber, von gebietsweise 30% über viele Jahre und 18 Jahre Niedriglohngebiet zeichnet sich deutlich in den Renten der Neurentner ab. Für Beitrittsbürger, die in den neuen Ländern geblieben sind, bestimmen die Rentenansprüche aus dem Erwerbsleben der DDR die Rente immer noch entscheidend.

Vorschläge der Gewerkschaft ver.di als auch der Linkspartei, die eine steuerfinanzierte schrittweise Angleichung des Rentenwertes beinhalten, wurden von einflussreichen Vertretern Ihrer Partei als auch im Bundestag abgelehnt. Sie seien gegenüber den bestehenden Mehrheiten nicht durchsetzbar.

Darüber hinaus wird mit der Angleichung des Rentenwertes die Hochwertung der Löhne und Gehälter im Beitrittsgebiet gemäß Anlage 10 des SGB VI infrage gestellt. Das sei eine ungerechtfertigte Besserstellung der Beitrittsbürger und berge für künftige Rentnergeneration erhebliche Nachteile in sich.

Eine vernünftige Begründung für diese Behauptung ist nicht erkennbar.

Im Gegenteil, seitens der Regierungsparteien wird der in den Medien oft gezogene Vergleich mit gleichen Einkommensgrößen übernommen. Bei einem Monatseinkommen von 2.500 € wird errechnet, dass damit im Osten für das Jahr 2008 Entgeltpunkte in Höhe von 2.500€ x 12 x 1,1827 30.084€ = 1,1794, im Westen hingegen nur 2.500€ x 12: 30.084€ = 0,9972 erzielt werden. Das sei höchst ungerecht, denn der Ostrentenanspruch beträgt dann 1,1794 x 23,34€ = 27,53€, derjenige für die Westrente hingegen nur 0,9972 x 26,13€ = 26,06€.

Dem ist folgendes entgegen zu setzen: Wer im Osten im 3. Quartal 2008 ein Monatseinkommen von 2.500 € hatte, der hätte wegen der Tarifunterschiede im Westen für die gleiche Qualifikation bei geringerer Arbeitszeit 3.422 € erhalten. Das zeigt ein Blick in die offizielle Statistik: Durchschnittseinkommen im 3. Quartal 2008 im Osten 2.355 €, im Westen 3.224 €. Der vergleichbare erarbeitete Rentenanspruch beträgt in der Alt-BRD 3.422 € x 12 / 30.084 € x 26,13 € = 36,67 €, liegt also um 33,2 % höher.

 

Bei Anhebung des Rentenwertes Ost auf den aktuellen Rentenwert käme der vergleichbare Einkommensbezieher im Osten auf einen Rentenanteil von 1,1109 x 26,13€ = 29,03€, also durchaus keine Bevorteilung.

 

Ein solcher Vergleich ist glatte Demagogie, weil eben wegen der nachgewiesenen Tarifunterschiede die Einkommen im Westen höher sind, Gleiche Tarife gibt es nur in der Größenordnung von 5 bis 6 %. Eine Schlüsselfrage sind natürlich einheitliche Tarife und die Durchsetzung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Das gilt auch für einen ein­heitlichen Mindestlohn.

 

3. Im vom Kabinett beschlossenen Rentenversicherungsbericht 2007 wird ausgesagt, dass der Rentenwert Ost im Zeitraum von 2007 bis 2011 von 87,9 auf 88,2 % des aktuellen Rentenwertes steigen wird. Eine Steigerung um 1 wird demzufolge in 13,3 Jahren erreicht, und 100 % des aktuellen Rentenwertes können demnach in 161,3 Jahren verwirklicht sein, also die Lebenszeit von vier Generationen in Anspruch nehmen.

Folglich ist eine politische Entscheidung zur Anpassung des Rentenwertes Ost insbesondere im Interesse künftiger Generationen dringend erforderlich. Die negative Wirkung des bestehenden Zustandes für künftige Rentnerinnen und Rentner, die aus dem Beitrittsgebiet stammen, wird auch aus der beigefügten Ausarbeitung „Wer finanziert die Ostrenten ..." (1)ersichtlich.

 

4. Dem oft benannten Finanztransfer zugunsten der Ostrenten muss das Resultat aus dem durch Abwanderung, Pendeln und Beschäftigung bei Unternehmen mit Sitz im früheren Bundesgebiet entstehenden Abgaben für die Rentenkasse entgegengehalten werden.

Die folgende Betrachtung soll dies verdeutlichen.

Von den am 03. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet wohnenden Bürgerinnen und Bürgern sind heute noch cirka 7,14 Mio. sozialversicherungspflichtig beschäftigt, davon im Beitrittsgebiet etwa 5,17 Mio. Die entsprechende Zahl der seit dem Anschluss der DDR abgewanderten Beitrittsbürger beträgt etwa 1,9 Mio. und die Zahl der Berufspendler kann mit 0,35 Mio. angegeben werden.

Im 3. Quartal 2008 betrug das Durchschnittseinkommen in den westlichen Bundesländern laut Statistischem Bundesamt ca. 3.224 € pro Monat. Die im Beitrittsgebiet verbliebenen versicherungspflichtigen Beschäftigten erhielten im Durchschnitt monatlich 2.355 €.

Alle Beitrittsbürger erzielten 2008 rund gerechnet ein Einkommen im Beitrittsgebiet von 5,17 Mio. x 2.355 € x 12 = 146,104 Mrd. €, in der Alt-BRD von 2,25 Mio. x 3.2247€ x 12 = 87,048 Mrd. €, zusammen 233,152 Mrd. €.

Der Beitrag zur Rentenversicherung beträgt 19,90 % und wird jeweils zur Hälfte von den abhängig Beschäftigten und den Unternehmen getragen. Es kann davon ausgegangen werden, dass 2008 im Beitrittsgebiet für die gesetzliche Rentenversicherung 29,07 Mrd. € abgeführt worden sind.

Entsprechend können in den alten Ländern von den Beitrittsbürgern die geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung mit 17,32 Mrd. € beziffert werden.

Das wären zusammen 46,39 Mrd. € als Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Rentenversicherungsbericht wird aber nur ein Beitragsaufkommen Ost von 27 Mrd. € ausgewiesen. Die Differenz von ca. 19 Mrd. € hängt vermutlich damit zusammen, dass reichlich 17 Mrd. € von den abgewanderten und pendelnden Beitrittsbürgern sowie weitere 2 Mrd. € von Beitrittsbürgern erbracht werden, die bei Westfirmen mit Ostablegern arbeiten. Die im Beitrittsgebiet gesetzlich zu versorgenden Rentner beanspruchen demgegenüber für ihre Rente rund 49 Mrd. € im Jahr. Die Einnahmen Ost der Rentenversicherung werden durch den Bundeszuschuss, der im Wesentlichen versicherungsfremde Leistungen abdeckt, von derzeit 12 Mrd. € auf etwas mehr als 39 Mrd. € pro Jahr aufgestockt. Es wird dann ein jährliches Minus von knapp 10 Mrd. € ausgewiesen. Dazu ist eine Anmerkung notwendig. Die Staatsangestellten sowohl der BRD als auch der DDR wurden und werden aus Steuermitteln bezahlt (z. B. Öffentlicher Dienst, Polizei, Armee, Justiz, Bildungswesen usw.). Durch das besondere Rentenrecht Ost ist diese Beschäftigtengruppe in der gesetzlichen Rentenversicherung enthalten. Das hat nach den Rentenversicherungsberichten eine Aufstockung des Bundeszuschusses zur Rentenzahlung Ost von 5 Mrd. € jährlich zur Folge.

Wenn man alles realistisch zusammenrechnet, dann ergeben sich für die Rentenversicherung Ost jährliche Einnahmen einschließlich des Bundeszuschusses in Höhe von rund 58 Mrd. €.

Diese Rechnung passt nicht in das Bild der Deutschen Rentenversicherung. Sie ist aber aus unserer Sicht angebracht, um die Leistungen der Beitrittsbürger für die Rentenversicherung zu verdeutlichen, und nicht wie bisher, die Erwartung einer „Dankbarkeit" zu erzeugen.

 

Soweit unsere Argumentation zur politischen Notwendigkeit der Angleichung des Rentenrechts in Deutschland. Angesichts der Ergebnisse der Deindustrialisierung, der bewusst niedrig gehaltenen Löhne und der verfestigten gegenüber der Alt-BRD doppelt so hohen Arbeitslosigkeit im Beitrittsgebiet ist die Herstellung des einheitlichen Rentenrechts in Deutschland nur politisch lösbar. Die bereits ersichtlichen Verwerfungen dürfen dabei nicht verfestigt werden, d.h. eine Lösung auf Kosten der Rentnerinnen und Rentner in ganz Deutschland sowie der abhängig Beschäftigten darf es dabei nicht geben. Deshalb ist der von ver.di erarbeitete und von einem breiten Bündnis getragene Vorschlag zur Rentenwertangleichung realistisch und mindestens diskussionswürdig. Die von anderen angestrebte „Null-Lösung" ist den Betroffenen nicht zumutbar.

 

Es ist höchste Zeit, dass nunmehr nach 19 Jahren staatlicher Einheit mit der Angleichung des Rentenwertes Ost und Beibehaltung der Hochrechnung der Löhne und Gehälter bis zu deren Angleichung ein wichtiger weiterer Schritt zur Verwirklichung der deutschen Einheit neben anderen wichtigen Seiten zur Erreichung gleicher Lebensverhältnisse gegangen würde. Insbesondere muss es möglich sein, das Problem fernab einer „Stammtisch-Mentalität" zu erörtern.

 

Es muss daran gedacht werden, dass jene Generation, welche die Trümmer nach dem zweiten Weltkrieg weggeräumt und den Löwenanteil der deutschen Reparationen geleistet hat, sowie auch die folgenden Jahrgänge, die sich mit den Folgen des Kalten Krieges herumschlagen mussten und die politischen Veränderungen in der DDR einleiteten, einen Anspruch darauf haben, nicht weiterhin im Alter zurückgesetzt zu werden. Damit wird die Spaltung des Landes nicht aufgehoben sondern für uns täglich spürbar.

 

 

Karlheinz Wunderlich                                                  Eberhard Rehling

Sprecher                                                                                Sprecher

 

 

1) Die Angaben stammen aus verschiedenen Quellen und wurden in der Arbeit „Wer finanziert die Ost-Renten" von Dieter Bauer, Erfurt, und Eberhard Rehling, Berlin, zusammengefasst.