ISOR e.V., Vorstand                                                                                                  29.09.2004                                                                                         

 

 

Hinweise und Argumentationshilfen zu Petitionen an den Deutschen Bundestag

 

Nach Artikel 17 des Grundgesetzes hat jeder Bürger das Recht, sich mit Petitionen an den Deutschen Bundestag zu wenden. Die Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses lassen auch eine erneute sachliche Prüfung bereits eingereichter Petitionen (bzw. neue Petitionen in der gleichen Sache) zu, wenn neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen. (Ziffer 7.4)

Zweifellos sind solche neuen Tatsachen mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE) vom 22. und 23.06.2004 entstanden. Auf diese Entscheidungen sollte deshalb bereits in der Überschrift (Kurze Schilderung des Gegenstandes der Petition) hingewiesen werden. Die Überschrift könnte also z.B. lauten: Fortbestehen der rentenrechtlichen Diskriminierung der ehem. Mitarbeiter des MfS bei gleichzeitiger Aufhebung des Strafrentenrechts für alle übrigen DDR-Bürger durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 22. und 23.06.2004.

Unter Ziffer 2 sind Hinweise zur Behandlung und zur Abfassung von Petitionen an den Deutschen Bundestag zusammengefasst, wie sie der Petitionsausschuss vorgibt und die seinen Materialien entnommen wurden.

Diese Hinweise enthalten eine Zusammenstellung von Zitaten aus den beiden Entscheidungen des BVerfGE sowie der Beschlussvorlage der 18. Kammer des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04, die für die Argumentation Verwendung finden können.

Alle Petitionen sollten individuell abgefasst werden. Sie sollten keinesfalls die Gesamtheit aller möglichen Argumente und Zitate nutzen sondern auf die eigene Person zugeschnitten, jene Argumente auswählen und Zitate anführen, die besonders überzeugend erscheinen. In der Regel wird es ausreichen, den jeweiligen Kerngedanken eines Zitates anzuführen und auf dieses als Quelle in einer Fußnote oder Klammer zu verweisen, also z.B. (Vgl. ….) oder (Ausführliche Darstellung dazu siehe: … )

Andererseits soll die Auswahl der Zitate auch kein Korsett darstellen, schöpferische eigene Argumentationen sind ausdrücklich erwünscht.

Am Ende der Petitionen sollte der Petitionsausschuss ersucht werden, darauf einzuwirken, dass die vom BVerfGE geforderte, ohnehin notwendige gesetzliche Neuregelung des AAÜG (Zitat 30) auch genutzt wird, um die diskriminierenden Regelungen des § 7 AAÜG aufzuheben.

 

Für die Petitionen werden folgende Argumentationslinien empfohlen:

 

1.) Die Entscheidung des BVerfGE vom 22.06.04 ist im Kontext zur Entscheidung vom 23.06.04 widersprüchlich und inkonsequent

 

Während im E3 – Urteil ausgeführt wird, dass eine rentenrechtliche Anerkennung von hohen, nicht „überhöhten“ Einkommen ohne weitere Nachprüfung nicht versagt werden dürfe (Zitat 19, 20) und dass den zu prüfenden Regelungen weiterhin keine konkreten Erkenntnisse zugrunde liegen bzw. nach wie vor nicht verfügbar sind (Zitat 22) wird für das MfS die statistisch nicht hinreichend erfasste Struktur der Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen bzw. der Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur als Ablehnungsgrund für die entsprechende Verfassungsbeschwerde angeführt. (Zitat 4 ) Für eine erneute Prüfung fordert das BVerfGE die Vorlage neuer „rechtserheblicher“ Tatsachen (Zitat 3), unterlässt es allerdings, die zuständigen Behörden wenigstens zur Mithilfe bei der Beschaffung solcher Daten zu verpflichten. Die bisherige Weigerung des Bundesverwaltungsamtes und der Birthler-Behörde, einschlägige Recherchen von ISOR e. V. zu unterstützen, kann vor diesem Hintergrund nicht anders gewertet werden, als eine weitere vorsätzliche Einschränkung von Bürgerrechten für die Mitarbeiter des MfS.

Während das BVerfGE das Fehlen einer Härteklausel  für die E3-Fälle ausdrücklich moniert (Zitat 9), die „fallbeilartige“ Kürzung auf Durchschnittseinkommen für „nicht mehr vertretbar“ hält (Zitat 26) und auch in seiner sonstigen Rechtsprechung den Ausschluss von Härtefällen ausdrücklich anstrebt (Zitat 31) hat es dieses Problem für die MfS-Mitarbeiter bisher nicht anerkannt, obwohl hinreichende Gründe für eine Härtefallregelung gegeben wären (Zitat 37).

Das BVerfGE rechtfertigt seine Entscheidung vom 22.06.04 mit einer „Sonderstellung“ des MfS (Zitate 4, 15, 29). Es beruft sich dabei vorrangig auf  den Gesetzgeber der DDR (Zitat 6). Die Volkskammer der DDR hatte die Renten für ehem. Mitarbeiter des MfS pauschal auf maximal 990,00 DM begrenzt, Angehörigen der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee jedoch Höchstrenten bis zu 2010,00 DM zugestanden. Die Konsequenz dieser unterschiedlichen Begrenzungen ist, dass damit unterstellt wurde, die nach individuellen Fähigkeiten, beruflicher und Lebenserfahrung sowie Qualifikation und konkreter Aufgabenstellung äußerst unterschiedlich zusammengesetzte Personengruppe der Mitarbeiter des MfS habe durchweg noch nicht einmal die Hälfte der Arbeitsleistung eines VP- oder NVA-Angehörigen erreichen können. Das begreife wer will.

Doch selbst eine Begrenzung auf 990,00 DM würde eine Absenkung der MfS-Renten auf das Durchschnittsniveau nicht rechtfertigen. 990,00 DM bedeuteten 171% der mit Pflichtversicherung und durchgängiger freiwilligen Zusatzrentenversicherung für einen DDR-Bürger erreichbaren Rente. (Zitat 35). Selbst bei ungünstigster Auslegung (Stichtag 31.07.1991) machten 990,00 DM 1,28 und nicht 1,0 Rentenpunkte aus.

Die entsprechenden Beschlüsse der Volkskammer der DDR basierten auf keinen konkreten Untersuchungen oder Berechnungen. Sie waren politische, in der Hysterie der Wendezeit geborene Festlegungen, die das Ziel verfolgten den Volkszorn zu besänftigen und zu kanalisieren.

Schließlich unterstreicht das BVerfGE, dass Artikel 3 des Grundgesetzes verletzt ist, wenn „eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt (werde), obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“ (Zitat 17). Überhöhte Entgelte (Zitat 2) waren keine Besonderheit des MfS. Die Besoldung des MfS wurde nach den gleichen Grundsätzen geregelt, wie die der anderen bewaffneten Organe der DDR (sog. X-Bereich). Das MfS war der SED-Führung rechenschaftspflichtig und dem Nationalen Verteidigungsrat unterstellt. Es war an die Gesetze der DDR gebunden.

 

2.) Höhere und hohe Einkommen in der DDR werden durch die Beitragsbemessungsgrenze bei der Rentenberechnung ohnehin und z. T. erheblich reduziert

 

Diese Tatsache wird durch das BVerfGE in seinem E3-Urteil ausdrücklich hervorgehoben. (Zitat 11). Das BVerfGE erkennt dabei sogar an, dass auch die Beitragsbemessungsgrenze übersteigende Einkommen nicht in jedem Fall als überhöht anzusehen seien. (Zitat 12). Auch Mitarbeiter des MfS in höheren Dienststellungen und mit höheren Dienstgraden wären bei einer Rente, die nur durch die Beitragsbemessungsgrenze reduziert würde, von solchen Kürzungen in erheblichem Maße betroffen. Es besteht die Möglichkeit das Ausmaß dieser Kürzung individuell zu berechnen und in den Petitionen anzuführen. Für weitere Kürzungen auf 1,0 Rentenpunkte wurden keinerlei über die bloße Zugehörigkeit zum MfS hinausgehende Kriterien festgelegt, obwohl des BVerfGE im E3-Urteil solche Kriterien ausdrücklich fordert. (Zitat 7, 18)

 

 

 

 

3.) Absurdidäten im Rentenverlauf

 

Obwohl das BVerfGE anerkennt, dass hohe Verdienste in der DDR nicht automatisch „überhöhte“ Einkommen darstellten und dass sich hohe Einkommen bis zum Ende der DDR den Durchschnittseinkommen angenähert haben (Zitate 13, 14, 23, 16), nimmt es durch die pauschale Begrenzung der Renten der MfS-Mitarbeiter Absurdidäten in deren Rentenverlauf billigend in Kauf. Gleichzeitig rügt es aber solche Absurditäten in seinem E3-Urteil, so die nachteilige Berücksichtigung des Dienstalters (Zitat 10), die Annahme, dass ein Oberstleutnant allein durch seine Beförderung zum Oberst bei gleich bleibenden Arbeitsaufgaben nun plötzlich nur noch eine durchschnittliche Leistung erbracht haben soll (Zitat 8) oder dass eine altersbedingte Steigerung des Einkommens einer Privilegierung entsprochen habe (Zitat 25).

Vergleichbare Absurditäten lassen sich auch im Rentenverlauf von MfS-Mitarbeitern individuell belegen. So galt das Sonderversorgungssystem des MfS nicht von Anfang an für alle Mitarbeiter, sondern nur für Offiziere und wurde erst Anfang der 60er Jahre auf alle Mitarbeiter ausgedehnt. Dadurch können Feldwebel oder Offiziersschüler für diese Zeit ihrer Rentenbiografie mehr Rentenpunkte erhalten als nach ihrer Beförderung zum Offizier. Wer durchgehend oder über eine sehr lange Zeit 1,0 Rentenpunkte angerechnet bekommt, kann z.B. fragen, wie denn sein Dienstalter berücksichtigt wird. Wo es angebracht ist, kann auch mit Zeiten vor den Eintritt in das MfS und nach 1989 verglichen werden.

Besonders überzeugend argumentieren können OibE und im Einzelfall auch hauptamtliche IM (Zitat 39).

 

4.) Qualifikationen

 

Das BVerfGE ignoriert bezogen auf die MfS-Mitarbeiter bisher, dass höher qualifizierte DDR-Bürger regelmäßig auch höhere Einkommen bezogen haben. Das ist auch in den Anlagen 13 und 14 zum SBG VI anerkannt. (Zitate 32, 33, 36, 38, 41) Wer höhere Qualifikationen erreicht hat, sollte diese individuell geltend machen und auf seine Benachteiligung hinweisen.

 

5.) Vergleiche mit Bereichen außerhalb des MfS

 

Das BVerfGE argumentiert in seinem E3-Urteil mehrfach durch Hinweise auf vergleichbare weitere Personengruppen und deren rentenrechtliche Behandlung. (Zitate 13, 21, 24, 27)

Damit ist es legitim solche Vergleiche auch seitens der MfS-Mitarbeiter anzustellen. Individuell verglichen werden sollte mit gleichartigen oder analogen Tätigkeiten in den anderen bewaffneten Organen und im zivilen Bereich der DDR. (z.B. HVA – Verwaltung Aufklärung der NVA, Mordkommission/Spezialkommission  MfS - Kriminalpolizei,  Abt. XIV und XVI – Strafvollzug MdI, Gesamtheit der Rückwärtigen Dienste mit analogen militärischen und zivilen Bereichen vom Gesundheitswesen über das Bauwesen, die Fahrbereitschaften, das Ferienwesen, die Finanzen usw. usf., Wachregiment und Bereitschaftspolizei bzw. Wachregiment der NVA).

Mitarbeiter verschiedener Diensteinheiten können individuell geltend machen, dass ihre Zuordnung zum MfS zufälliger Natur war und sie vergleichbare Aufgaben genau so gut auch in anderen Organen außerhalb des MfS hätten durchführen können. Hier kann auch an die mit der Bildung des AfNS angedachten Umstrukturierungen erinnert werden. ( z.B. Eingliederung der HA I in die NVA, der HA VI in die Grenztruppen, des Geheimnisschutzes, Chiffrierdienstes und der Regierungsnachrichtenverbindungen in den Ministerrat der DDR).

Hingewiesen werden sollte auch auf besondere, selbst heute noch gesellschaftlich anerkannte Leistungen, wie z.B. bei der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen bzw. „rechtsextremen“ Gruppen Jugendlicher, der Verhinderung von Terrorakten, von Korruption und Störungen in der Volkswirtschaft und im Verkehrswesen u. ä. Auch technische Spitzenleistungen, z.B. in den Bereichen der HA III und des OTS können angeführt werden. Nachfragen könnte man auch, wie z.B. der HVA Weltspitzenleistungen bescheinigt werden oder die Spionageabwehr die bundesdeutschen Geheimdienste de facto ausschalten konnte, wenn ihre Mitarbeiter nur zu bestenfalls durchschnittlichen Leistungen befähigt waren. Mitarbeiter der HA PS können darauf verweisen, dass aus ihrem Bereich die relativ größte Gruppe von Mitarbeitern in den heutigen Staatsdienst übernommen wurde. Wenn diesen ehem. Mitarbeitern das Leben führender Politiker anvertraut wird, dann sicher auch, weil man deren Qualität zu schätzen weiß.

 

6.) Wertneutralität des Rentenrechts

 

Die Publikation von ISOR, die aktuell erschienen ist, sollte wenigstens hinweisend immer angeführt werden, wie auch ihre Grundaussage, dass in der deutschen Rentengeschichte seit Bismarck bisher nur die Nazis das Rentenrecht politisch instrumentalisiert haben.

In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass das BVerfGE bestätigt, dass es „ideologisch geführte Diskussionen“ waren, die eine befriedigende Rentenregelung für die MfS-Mitarbeiter verhindert haben. (Zitat 1)

Gleichzeitig erteilt das BVerfGE dem Hauptargument dieser ideologischen Auseinandersetzungen, das die entsprechenden Debatten in Bundestag und Bundesrat dominierte, die angebliche Benachteiligung der „Opfer“, eine Abfuhr. „Unausgewogenheit in der Altersversorgung kann nicht dazu gereichen, die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung zu legitimieren“ (Zitat 28)

Obwohl das BVerfGE die Verletzung der Eigentumsgarantie nach Artikel 14 des Grundgesetzes in den o. g. Entscheidungen nicht schwerpunktmäßig behandelt, sollten die entsprechenden Verletzungen durch § 7 AAÜG  nicht unbeachtet bleiben. (Zitat 40) Es sollte aber zugleich darauf verwiesen werden, dass die rentenrechtliche Diskriminierung immer auch eine Diskriminierung der Lebensleistung und damit eine Frage der Achtung der Menschenwürde ist.

Im übrigen kann auch darauf verwiesen werden, dass (individuell konkretisiert) Mitarbeiter des MfS erheblich mehr Beiträge in die Sozialversicherung eingezahlt haben als Normalbürger.

 

7.) Angebliche Selbstprivilegierung des MfS

 

Diese Unterstellung des BVerfGE (Zitat 5) kann jeder gestützt auf  seine eigenen Erfahrungen im MfS zurück weisen. Dabei sollte auch auf Bereiche hingewiesen werden, in denen die übrigen DDR-Bürger „privilegiert“ waren. (Z.B. Arbeitszeiten, Bereitschaften, Verbot von Kontakten auch für nahe Angehörige, Ortswechsel usw.)

 

8.) Nicht zu empfehlende Argumente

 

Obwohl es ungerecht ist, dass auch Witwen und Waisen, die niemals dem MfS angehört haben, vom Rentenstrafrecht betroffen sind, kann damit nicht argumentiert werden. Der Petitionsausschuss des Bundestages hat beim Abschluss der letzten Petitionen schlüssig ausgeführt, dass Witwen- und Waisenrenten abgeleitete Renten seien. Alles andere würde ein neues Rentenrecht erfordern. Witwen und Waisen sollten deshalb in Petitionen von der Tätigkeit des verstorbenen Ehepartners/ des Vaters oder der Mutter ausgehen und praktisch für diese argumentieren. Dabei kann auch auf die Auswirkungen der Tätigkeit des oder der Verstorbenen für das eigene Leben eingegangen werden. Der Petitionsausschuss des Bundestages erlaubt es, auch Petitionen  „für einen anderen“ oder „im allgemeinen Interesse“ einzureichen.

Abgeraten wird auch von Argumenten, die eine Schlechterstellung anderer Personengruppen anregen, wenn schon keine Verbesserungen für das MfS zu erreichen seien. Wer also fordert, dass dann auch Margot Honecker keine höhere Rente erhalten dürfe, liefert nur Munition für diejenigen, die die vernünftigen Vorgaben des E3-Urteils in der Gesetzgebung wieder relativieren möchten.

 

Zitate

aus der ablehnenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zu einer Verfassungsbeschwerde nach § 7 AAÜG vom 22.06.2004 (BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004), zum Urteil des BVerfG zu den sog. E3-Fällen vom 23.06.2004 (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004) sowie dem Vorlagebeschluss der 18. Kammer des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.2004 (Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01)

1.)    Ablehnende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zu einer Verfassungsbeschwerde nach § 7 AAÜG vom 22.06.2004 (BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004)

Diese Entscheidung bildete die Berufungsgrundlage für die Ablehnung aller weiteren Entscheidungen zum § 7 AAÜG am 27.07.04. Geklagt hatte ein langjähriger Mitarbeiter des MfS, der mit einem hohen Einkommen im zivilen Bereich zunächst als OibE eingestellt worden war und dabei keine zusätzlichen Bezüge vom MfS erhalten hatte. Die Klage war von den Rechtsanwälten Bleiberg & Schippert mit Unterstützung durch ISOR e.V. eingereicht worden.

Zitat 1:„… Über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wollte der Gesetzgeber nicht hinausgehen, um erneute ideologisch geführte Diskussionen zu vermeiden (vgl. BTDrucks 14/5640, S. 13).“ ( BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004, Absatz 3)

Zitat 2: „… 1. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Berücksichtigung der Arbeitsentgelte von Angehörigen des Sonderversorgungssystems des MfS/AfNS lediglich bis zur Höhe der jeweiligen Durchschnittsentgelte verfassungsrechtlich zulässig ist. Es hat weiter festgestellt, dass der Gesetzgeber zu einer weiter gehenden Berücksichtigung der Arbeitsentgelte verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 100, 138 <182f.>). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durfte der Gesetzgeber für das MfS/AfNS davon ausgehen, dass in diesem Bereich deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden.“              ( BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004, Absatz 11)

Zitat 3: „… 2. Eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung der Vorschrift des § 7 Abs. 1 AAÜG ist zulässig, sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können (BVerfGE 33, 199 <204>; 65, 179 <181>; 70, 242 <250>). Der Vortrag des Beschwerdeführers und insbesondere die in Bezug genommenen Gutachten sind jedoch nicht geeignet, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 in Frage zu stellen." ( BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004, Absatz 12)

Zitat 4: „… Die Gutachter nehmen selbst nicht für sich in Anspruch, eine sachlich und zeitlich umfassende, auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse erarbeitete Analyse des Besoldungs- und Versorgungssystems im Bereich des MfS/AfNS vorzulegen. Beide Gutachten erfassen nur begrenzte Zeiträume und stellen ihre Ergebnisse unter zahlreiche Vorbehalte.  Die Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie die Struktur der beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommen waren in der Deutschen Demokratischen Republik - anders als in anderen Arbeitsbereichen - statistisch nicht hinreichend erfasst; dies wird in den vorgelegten Gutachten deutlich. Wegen dieser besonderen Situation hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Entgeltbegrenzung in § 7 Abs. 1 AAÜG das Recht zur pauschalen Einstufung und Bewertung zugestanden (vgl. BVerfGE 100, 138 <179f>).“ ( BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004, Absatz 13)

Zitat 5: „… Die Vergütungs- und Versorgungsordnung des MfS/AfNS fügte sich in das Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung dieses Staatsbereichs ein (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 179)“. ( BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004, Absatz 14)

Zitat 6: „… Der mit diesen Verhältnissen vertraute Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik hat dementsprechend die überhöhten Versorgungen im Bereich des MfS/AfNS in § 2 f. des Gesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit vom 29. Juni 1990 (GBI l S. 501) pauschal gekürzt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts konnte der Gesetzgeber daran anknüpfen (a.a.O., S. 179).“ ( BVerfG, 1 BvR 1070/02 vom 22.06.2004, Absatz 14)

2.) Leitsätze zum Urteil des BVerfGE zu den sog. E3-Fällen vom 23.06.2004 (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004)

Das BVerfGE verhandelte hier über die Klagen von drei hohen Staatsfunktionären der DDR, (Oberst der NVA, Leiter des Patentamtes der DDR, Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Bauwesen der DDR), bei denen nach Erreichen einer bestimmten Verdienstgrenze (sog. E3- Gehaltsgruppe) nach den §§ 6, Abs. 2 und 3 AAÜG die Rente pauschal auf 1,0 Rentenpunkte abgesenkt worden war. Das BVerfGE erklärte das für verfassungswidrig.

Zitat 7: „… Das Gericht ist davon überzeugt, dass § 6 Abs. 2 AAÜG in der zur Prüfung gestellten  Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Es fehle an einem sachgemäßen Kriterium für die vom Gesetz vorgenommene Differenzierung. Aus der besonderen "Staats- und Systemnähe" der Berufstätigkeit allein folge nicht, dass diesen Personengruppen durchgängig Entgelte gezahlt worden seien, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und deshalb überhöht gewesen seien. Es liege eine unzulässige Typisierung vor. Andere Personengruppen als die in § 6 Abs. 2 AAÜG erfassten habe man auch nicht ansatzweise daraufhin überprüft, ob sie durch ihre berufliche Tätigkeit erheblich zur Aufrechterhaltung und Stärkung des DDR-Regimes beigetragen hätten. Der zu entscheidende Fall zeige klar die Sachwidrigkeit des vom Gesetzgeber gewählten Kriteriums auf.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 25)

 

Zitat 8: „… Es sei nicht nachvollziehbar, dass das Arbeitsentgelt des Klägers als Major oder Oberstleutnant seiner Leistung entsprochen habe, dass aber nach seiner Beförderung zum Oberst ohne Veränderung der Dienstaufgaben dies nicht mehr gelte. Wegen des Kürzungsmodus des § 6 Abs. 2 AAÜG dürfe nicht einmal der frühere Arbeitsverdienst der Rentenberechnung zugrunde gelegt werden.“  (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 25)

Zitat 9: „… Es fehle in jedem Falle an einer Härteklausel, die die Folgen der vom Gesetzgeber  vorgenommenen groben Typisierung verfassungsrechtlich hinnehmbar werden lasse. Auch sei die in Anlage 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz festgesetzte Grenze zu starr.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 26)

Zitat 10: „… Auch die Berücksichtigung des Dienstalters sei problematisch. Denn es sei kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, dass gerade mit dem Erreichen eines bestimmten Dienstalters eine besondere Systemnützlichkeit verbunden sei. Eher bestehe bei jüngeren Kadern, die bereits hohe Dienstränge in frühen Lebensjahren erreicht hätten, der Verdacht auf eine besondere Systemnähe.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 26)

Zitat 11: „… Der Gesetzgeber habe in einer unzulässig typisierenden Weise unterstellt, die Arbeitsentgelte der von der Regelung erfassten Personen seien durchweg überhöht gewesen. Bereits mit der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung seien neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert worden. Mit § 6 Abs. 2 AAÜG sei der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter gegangen. Für bestimmte Gruppen von Personen lasse er Arbeitsverdienste auch unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenberechnung unberücksichtigt. Diese Gruppen würden durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Versorgungssystemen und - zusätzlich -pauschal durch die Höhe der Arbeitsentgelte bestimmt. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass die Umsetzung dieser Kriterien durch § 6 Abs. 2 AAÜG auf Tatsachen beruhe, welche die Annahme rechtfertigten, dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetz erfassten Personen gezahlt worden seien oder dass gerade Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen der Anlage 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz als überhöht angesehen werden müssten. Aus der besonderen "Staats- und Systemnähe" der Berufstätigkeit allein folge nicht, dass diesen Personengruppen durchgängig Entgelte gezahlt worden seien, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und deswegen insoweit überhöht gewesen seien.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 36)

Zitat 12: „… Der Gesetzgeber habe die von ihm vorgenommene Gruppenbildung auch nicht auf  einschlägige Tatsachen gestützt. Den Gesetzesmaterialien sei jedenfalls nicht zu entnehmen, in welchen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen strukturell überhöhte Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen bezogen worden seien. Wenn der Gesetzgeber das Einkommen E 3 (seit 1985 Gehaltsstufe 12) und darüber zum Maßstab für überhöhte Einkommen mache, sei damit noch nichts über die Leistungsadäquanz der in der jeweiligen Position geleisteten Arbeit ausgesagt. Mit der Grenzziehung beim Gehalt nach der Stufe E 3 habe er zwar anerkannt, dass eine überdurchschnittliche Entlohnung selbst jenseits der Beitragsbemessungsgrenze nicht in jedem Falle als überhöht anzusehen sei. Er habe dabei auch nicht auf einen beliebigen Grenzwert, sondern auf einen funktionsabhängigen Verdienst Bezug genommen. Dies mache aber die Bestimmung des Grenzwertes nicht wirklichkeitsnäher, weil sie nicht durch Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem allgemeinen Durchschnittsentgelt und Entgelten an der Beitragsbemessungsgrenze getragen werde, sondern gerade um etliches davon entfernt sei.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 37)

Zitat 13: „… Auch § 6 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG verletze Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. § 6 Abs. 3  AAÜG hafte der gleiche verfassungsrechtliche Mangel an wie § 6 Abs. 2 AAÜG, weil der Gesetzgeber hinter den Inhabern der genannten Funktion Personen vermute, die insofern "Förderer" des Systems gewesen seien, als sie durch ihre besondere Stellung in der Deutschen Demokratischen Republik zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des Staats- oder Gesellschaftssystems beigetragen hätten. Es seien jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass in diesen Funktionen im Vergleich zu anderen ebenfalls leitenden Funktionen in der Deutschen Demokratischen Republik "überhöhte" Entgelte gezahlt wurden.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 39)

Zitat 14: „… Das Gericht sei davon überzeugt, dass die zur Prüfung gestellte Vorschrift gegen Art. 3  Abs. 1   GG verstoße,  weil  es für die angeordnete  Ungleichbehandlung  an einem rechtfertigenden Grund fehle. Die Änderungen des Anspruchs- und Anwartschafts-überführungsgesetzes durch die Änderungsgesetze von 1996 und 2001 hätten an dem Gleichheitsverstoß, den das   Bundesverfassungsgericht   in   seiner Entscheidung vom 28. April 1999 festgestellt habe (BVerfGE 100, 59), nichts geändert. Beide Gesetze hätten lediglich die Gruppe der Betroffenen verkleinert. Die Gesetzesmaterialien bewiesen, dass der Gesetzgeber erneut auf Abgrenzungskriterien zurückgegriffen habe, die vom Bundesverfassungsgericht zu Recht bereits als unzureichend und damit verfassungswidrig beanstandet worden seien. Das Bundesverfassungsgericht habe hierzu festgestellt, aus der "Staats- und Systemnähe" der Berufstätigkeit allein ergebe sich keinesfalls, dass diesen Personengruppen durchgängig Entgelte gezahlt worden seien, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und insoweit "überhöht" gewesen seien. Der für die Rechtfertigung der Typisierung entscheidende Schluss, dass diese Personengruppen bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen hatten, folge daraus nicht.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 46)

Zitat 15: „… Der Gesetzgeber könne sich auch nicht auf die Entscheidung des   Bundesverfassungsgerichts zur Überleitung der versorgungsrechtlichen Ansprüche und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem der Mitarbeiter des MfS berufen (BVerfGE 100, 138). Im Gegensatz zu der zur Prüfung gestellten Regelung habe sich das  Gericht bei  diesem  Personenkreis  nicht  nur auf die  Relation zwischen  dem Arbeitsentgelt und dem Durchschnittsentgelt in der Deutschen Demokratischen Republik   berufen. Es habe die besondere Situation der MfS-Mitarbeiter vielmehr durch eine Vielzahl von Faktoren belegt, aus denen hervorgehe, dass der Gesetzgeber von einer Sonderstellung der MfS-Mitarbeiter habe ausgehen und daher ihre Arbeitsentgelte nach § 7 AAÜG in typisierender Weise begrenzen dürfen.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 47)

 

Zitat 16:„…Soweit der Gesetzgeber zur Feststellung überhöhter Entgelte auf die Relation zwischen der Gehaltsstufe E3 und dem Durchschnittsverdienst der Arbeitnehmer in der Deutschen Demokratischen Republik abstelle, sei die daraus folgende Regelung bereits in sich nicht schlüssig. Denn sie berücksichtige nicht, dass sich diese Relation in der Zeit zwischen 1950 und 1989 erheblich verringert habe. Sie sei zuletzt auf 160 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Arbeitnehmer der Deutschen Demokratischen Republik gesunken .Ein Einkommen in dieser Höhe stelle für sich allein aber keinen ausreichenden Nachweis dafür dar, dass das Gehalt aus politischen Gründen überhöht war.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 47)

Zitat 17: „… Art. 3 Abs. 1 GG, der hier vor allem als Prüfungsmaßstab heranzuziehen ist (vgl. BVerfGE 100, 59 <90>), gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG, a.a.O.). (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 63)

Zitat 18: „… Allein schon mit der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung sind neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert worden. Einer darüber hinausgehenden zusätzlichen Bestimmung von Überhöhungstatbeständen müssen Kriterien zugrunde gelegt werden, die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 65)

Zitat 19: „… Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit beanstandet, dass der Gesetzgeber für die  Angehörigen der in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Versorgungssysteme generell angenommen hat, sie hätten in der Deutschen Demokratischen Republik ab einer bestimmten Schwelle überhöhte Arbeitsentgelte bezogen, ohne dass Zahlen über Lohn- und Gehaltsstrukturen in der Deutschen Demokratischen Republik, über das Einkommensgefüge in den einschlägigen Beschäftigungsbereichen und über das Verhältnis der dort erzielten Verdienste zum volkswirtschaftlichen Mittelwert vorlagen, die darüber hätten Auskunft geben können. (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 66)

Zitat 20: „… Für die Entgeltbegrenzung müsse ein sachgerechter Kürzungsmechanismus gewählt werden. Die festgesetzten Grenzwerte müssten sich auf Erkenntnisse zur wirklichen Verteilung überhöhter Arbeitsverdienste im Bereich zwischen dem Durchschnittsentgelt und Entgelten an der Beitragsbemessungsgrenze stützen können. In der Deutschen Demokratischen Republik erzielte hohe Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen seien nicht notwendig auch "überhöhte" Entgelte, deren rentenrechtliche Anerkennung der Gesetzgeber ohne weitere Nachprüfung versagen darf. An diesen Grundsätzen ist festzuhalten“. (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 67)

Zitat 21: „… Die hier zur Prüfung gestellten Vorschriften des § 6 Abs. 2 und 3 Nr. 8 AAÜG in der Fassung von 1996 und 2001 führen zu einer Benachteiligung von Personengruppen, zu denen   die   Kläger   der  Ausgangsverfahren   gehören.   Diese   Benachteiligung   trifft insbesondere gegenüber Versicherten mit Anspruch auf eine Zusatzversorgung zu, deren Versorgungssystem nicht von § 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 8 AAÜG erfasst wird, sowie gegenüber Versicherten, deren Versorgungssystem zwar erfasst wird, deren Entgelte jedoch die so genannte E 3-Grenze nicht erreichen. Die von diesen beiden Personengruppen tatsächlich erzielten Entgelte werden bei der Rentenberechnung nur durch die Beitragsbemessungsgrenze gekappt (vgl. BVerfGE 100, 59 <90f>). Bis zum Erreichen dieser Grenze führt ein höheres Arbeitseinkommen bei ihnen auch zu einer höheren Altersrente, während bei der Gruppe der Kläger der Ausgangsverfahren immer eine Absenkung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsverdienste auf ein Durchschnittseinkommen erfolgt.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 68)

Zitat 22: „… Auch den hier zu prüfenden Regelungen liegen weiterhin keine konkreten Erkenntnisse darüber zugrunde, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen in der Deutschen Demokratischen Republik überhöhte Entgelte gezahlt wurden. Den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich jedenfalls solche Erkenntnisse nicht entnehmen. Zahlen über Lohn- und Gehaltsstrukturen in der Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere über das Einkommensgefüge der hier betroffenen Beschäftigungsbereiche und dessen Verhältnis zum Durchschnittseinkommen, sind nach wie vor nicht verfügbar.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 70)

Zitat 23: „… Hohe Arbeitsverdienste sind nicht notwendig überhöhte Arbeitsverdienste (vgl. BVerfGE 100, 59 <97>)“. (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 70)

Zitat 24: „…Die Unzulässigkeit der Typisierung ergibt sich nicht nur aus der Wahl der in die  Rentenkürzung einbezogenen Berufsgruppen und der Wahl der maßgeblichen Entgelthöhe, sondern umgekehrt auch daraus, welche Berufsgruppen nicht in die Kürzung von Versorgungsrenten einbezogen worden sind. Dies zeigt ein Blick in die Anlagen 1 und 2 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz. Es erschließt sich keineswegs, weshalb - ohne Betrachtung der individuellen beruflichen Biographien - die Kürzung der Rente eines hauptamtlichen Mitarbeiters der Gesellschaft für Sport und Technik oder eines hauptamtlichen Mitarbeiters gesellschaftlicher Organisationen (Versorgungssysteme nach Nr. 20 und 21 der Anlage 1) sowie von Angehörigen der Feuerwehr (Versorgungssystem nach Nr. 2 der Anlage 2) politisch privilegierte Einkommen betreffen, eine Entgeltbegrenzung aber beispielsweise nicht bei Angehörigen der technischen Intelligenz greifen soll (Versorgungssystem nach Nr. 1 der Anlage 1).“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 73)

Zitat 25: „… Schließlich    hat    der    Gesetzgeber    die    rentenrechtliche    Berücksichtigung altersabhängiger Einkommenselemente nicht im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG geregelt. Nach  § 6  Abs.   2   Satz  2  AAÜG  wird  auch  der für  das   Dienstalter festgelegte Vergütungsteil in das für die Kürzung maßgebliche Entgelt einbezogen. Weshalb eine altersbedingte Steigerung des Arbeitsentgelts in politischer Begünstigung begründet sein soll, ist jedoch nicht erkennbar. Näher liegt die Vermutung, dass erst bei Erreichen einer relevanten Einkommensgrenze ohne Berücksichtigung der Komponente "Vergütung für das Dienstalter" eine Privilegierung beim Arbeitsentgelt vorgelegen hat, die durch eine besondere Systemnähe bewirkt worden ist. Steigt dagegen das Arbeitsentgelt allein deshalb, weil eine höhere Altersstufe erreicht ist, lässt sich daraus gerade nicht auf eine nunmehr überhöhte Entlohnung wegen besonderer Systemnähe schließen, da sich an der Tätigkeit hierdurch nichts ändert.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 76)

Zitat 26: „…Verfassungsrechtlich unzulässig ist darüber hinaus auch der vom Gesetzgeber gewählte Kürzungsmechanismus. Er verfehlt schon im Ansatz die Merkmale einer Typisierung oder Pauschalierung. Indem die Regelung der Begrenzung zwar erst ab einem in den 50er und 60er Jahren vergleichsweise sehr hohen und später relativ hohen Einkommen greift, dann aber alle erfassten Arbeitsentgelte "fallbeilartig" auf das Durchschnittseinkommen kürzt, bleiben die Grundsätze unbeachtet, die für Regelungen solcher Art im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG maßgeblich sind (vgl. BVerfGE 100, 59 <97>). Überschreitet das Einkommen eines Betroffenen eine bestimmte Grenze, fällt er weit hinter den Rentenbetrag zurück, der ihm zuvor für seine niedrigeren Entgelte zugeordnet war. Das gilt sogar dann, wenn mit der Einkommenserhöhung keine Funktionsänderung eingetreten ist. Möglichkeiten, den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht zu werden, sieht das Gesetz nicht vor. Der Gesetzgeber hat damit einen Weg gewählt, der auch unter Berücksichtigung seiner besonderen Gestaltungsfreiheit bei der Neuordnung der sozialrechtlichen Verhältnisse in der Folge der Wiedervereinigung nicht mehr vertretbar ist.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 77)

Zitat 27: „… Vergleicht man die hier in Frage stehende Regelung mit der verfassungsrechtlich beanstandeten Vorgängerregelung, die eine progressive Absenkung des berücksichtigungsfähigen Entgelts vorsah (vgl. BVerfGE 100, 59 <71 f., 97>), hat der Gesetzgeber den Typisierungsfehler noch verstärkt. Dadurch setzt sich der Gesetzgeber erst recht in Widerspruch zu seiner eigenen Annahme, dass jedenfalls bis zum Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze (vgl. § 6 Abs. 1 AAÜG) in keinem der von § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG "verschonten" Versorgungssysteme eine Entgeltbegrenzung veranlasst ist. Denn wenn in den nicht erfassten Versorgungssystemen der Einkommensanteil zwischen • dem Durchschnittseinkommen und der Beitragsbemessungsgrenze nicht als überhöht gilt, ist schwer einzusehen, weshalb dies in den ausgewählten Versorgungssystemen der Fall sein soll.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 77)

Zitat 28: „…Der Gesetzgeber kann sich zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der von ihm  getroffenen Regelungen nicht darauf berufen, die Opfer des SED-Regimes erhielten auf der Grundlage des Gesetzes über die berufliche Rehabilitierung oft nur eine sehr geringe Altersversorgung; deswegen seien die Kürzungen in § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG ein Gebot der Gerechtigkeit und lägen im Interesse der politischen Akzeptanz. Damit wird ein Zusammenhang hergestellt, der verfassungsrechtlich zur Rechtfertigung der hier festgestellten Ungleichbehandlung nicht trägt. Es ist Sache des Gesetzgebers, Änderungen in der Altersversorgung der Opfer des SED-Regimes herbeizuführen, wenn sich im Zuge der Rentenüberleitung eine Rechtslage ergibt, die im Verhältnis zu den Menschen, die in der Deutschen Demokratischen Republik berufliches Unrecht erfahren haben, als nicht hinnehmbar angesehen wird. Unausgewogenheit in der Altersversorgung kann nicht dazu gereichen, die Beibehaltung einer gleichheitswidrigen Rentenkürzung zu legitimieren.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 78)

Zitat 29: „… Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber Pauschalierungs-möglichkeiten bei der Ausgestaltung der Kürzungsregelung in § 7 AAÜG aus Gründen eingeräumt, die in den ganz spezifischen Verhältnissen des von dieser Vorschrift erfassten Bereichs begründet sind (vgl. BVerfGE 100, 138 <178 bis 180>).“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 79)

Zitat 30: „… Da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschriften zu beseitigen, sind diese nicht für nichtig, sondern lediglich für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, bis zum 30. Juni 2005 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.“ (BVerfG 1 BvL 3/98 vom 23.06.2004, Absatz 82)

3.)     Vorlagebeschluss der 18. Kammer des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.2004 (Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01)

Mit diesem Vorlagebeschluss, der im Internet veröffentlicht ist, wandte sich die 18. Kammer des SG Berlin an das BVerfGE, da sie es insbesondere als verfassungswidrig ansah, dass MfS-Mitarbeiter mit höheren Qualifikationen auf die Durchschnittsrente begrenzt werden, obwohl DDR-Bürger mit Fachschul- oder Hochschulabschluss regelmäßig auch überdurchschnittlich verdient hätten. Nach der Entscheidung des BVerfGE vom 22.06.04 wird diese Vorlage mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zur Verhandlung kommen.

Zitat 31: „… Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie im vorliegenden Fall ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, daß diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE 100, 59, 90 m.w.N.; st. Rspr), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 100, 59, 90 m.w.N.).“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 24 )

Zitat 32: „… Es erscheint der Kammer nicht nachvollziehbar, dass sämtliche Einkünfte oberhalb des Durchschnittsentgelts nicht mehr durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt sein sollen, wenn die Betroffenen eine höhere Qualifizierung vorzuweisen haben und entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt wurden… Von der Regelung werden einheitlich sämtliche hauptberuflichen Mitarbeiter des MfS unabhängig von ihrer Qualifikation erfasst. Deren Arbeitsentgelte werden ebenfalls unabhängig von ihrer Qualifikation oder beruflichen Stellung einheitlich auf den allgemeinen DDR-Durchschnittsverdienst begrenzt. Daher sind von der Regelung in erheblichem Umfang Berechtigte betroffen, die über eine höhere Qualifikation verfügten. Über 27 Prozent der hauptberuflichen Mitarbeiter des MfS verfügten zuletzt über einen Fach- oder Hochschulabschluss (vgl. Giesecke a.a.O.). Das BVerfG ging in seiner Entscheidung vom 29. April 1999 nicht davon aus, dass die Angehörigen des MfS durchweg deutlich unterdurchschnittlich qualifiziert gewesen könnten (BVerfGE 100, 138, 181).“  ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 28 )

Zitat 33: „… Nach allen vorhandenen Erkenntnissen haben auch in der DDR Versicherte mit Fachschulabschluss (Fachschulabsolventen) und erst recht solche mit Hochschulabschluss (Hochschulabsolventen) ganz regelmäßig deutlich überdurchschnittlich verdient. Davon geht auch der Gesetzgeber selbst aus. Dies verdeutlicht der Vergleich der in den Anlagen 13, 14 zum SGB VI festgelegten Werte für die verschiedenen Qualifikationsgruppen. Diese beiden Anlagen sind zu § 256b SGB VI erlassen. Die Vorschrift betrifft die Glaubhaftmachung von Beiträgen für die Ermittlung von Entgeltpunkten. Dazu finden sich in den Gesetzesmaterialien folgende Ausführungen: "Für Zeiten ab 1. Januar 1950 werden Entgeltpunkte auf Grund von Tabellen ermittelt, die Entgelte für typische Arbeitnehmer nach Qualifikationsgruppen und Wirtschaftsbereichen bestimmen.“ Da die Glaubhaftmachung von Zeiten ab 1950 nahezu ausschließlich für Versicherte aus den neuen Bundesländern von Bedeutung ist, zeichnen die Anlagen 13 und 14 die tatsächliche Situation in Bezug auf Qualifikationsgruppen und Wirtschaftsbereiche im Beitrittsgebiet wieder.“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 28 f. )

Zitat 34: „… Da jedenfalls Einkommen der Betroffenen regelmäßig bis zum Durchschnittseinkommen der Qualifikationsgruppen l, 2 und 3 der jeweiligen Tabellenwerte der Anlage 14 bzw. bis zu Einkommen im Bereich der Beitragsbemessungsgrenze nicht als überhöht angesehen werden können, sind hinsichtlich der betroffenen Zeiträume erhebliche und betragsmäßig beachtliche Kürzungen nicht mehr vom Zweck der Kürzungen, überhöhte Leistungen abzubauen, gedeckt. Die in § 7 Abs. l Satz l AAÜG durch Anwendung der Anlage 6 auf die Entgelte der Betroffenen durch den Gesetzgeber angeordnete Rechtsfolge ist daher nach Maßgabe des Art. 3 GG insofern verfassungswidrig.“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 31 )

Zitat 35: „… Der Gesetzgeber kann sich zur Begründung der Absenkung des rentenwirksamen Verdienstes auf das jeweilige Durchschnittsentgelt durch die Begrenzungsregelung des § 7 Abs. l Satz l AAÜG (in Verbindung mit Anlage 6) nicht auf den Gesetzgeber der Deutschen Demokratischen Republik berufen. Verglichen mit den Bestimmungen des Aufhebungsgesetzes über die Behandlung der Ansprüche und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS nach der Überführung in die Rentenversicherung der Deutschen Demokratischen Republik stellt die Regelung des § 7 Abs. l Satz l AAÜG für höher qualifizierte Berechtigte eine erhebliche Verschärfung dar. Nach § 3 Abs. l Nr. l AufhebG sollten bei der Neufestsetzung der Ansprüche und Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS die SV-Renten nach den Bestimmungen der Rentenverordnung wie für alle anderen Arbeitnehmer festgesetzt und nach den Grundsätzen des RAG angeglichen (Abs. 2) werden. Ergänzend dazu sollte für die entsprechend der Versorgungsordnung geleisteten Beiträge über 60 M monatlich ab 1. März 1971 eine Zusatzrente nach den Bestimmungen der FZR-Verordnung gewährt werden (§ 3 Abs. l Nr. 2 AufhebG), wobei der Gesamtbetrag maßvoll auf 990 DM (als dem Doppelten der Mindestsicherung im Beitrittsgebiet zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990) zu begrenzen und später zu dynamisieren war - § 3 Abs. 3 und 4 AufhebG (vgl. BVerfGE 100, 138, 180). § 5 Abs. l AufhebG sah darüber hinaus die Möglichkeit einer Kürzung oder Aberkennung von Versorgungsansprüchen nur nach einer Überprüfung im Einzelfall vor; dabei durfte die gesetzlich festgelegte Mindestrente nicht unterschritten werden (vgl. § 5 Abs. l Satz 2 AufhebG). Zum 30. Juni 1990 betrug die mögliche Höchstrente für Rentenberechtigte ohne Ansprüche aus Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen aus SV und FZR 602 M (BVerfGE 100, l, 4). Der vom DDR-Gesetzgeber vorgegebene dynamische, pauschale Höchstbetrag für die Altersversorgung der Sonderversorgten des MfS betrug also immerhin 164 Prozent der bis zum 30.06.1990 beziehbaren Maximalrente aus der SV und FZR. Tatsächlich knüpfte der DDR-Gesetzgeber auch nicht an die allgemeinen Einkommensverhältnisse für die Ermittlung der künftigen Rentenleistungen der bislang sonderversorgten MfS-Mitarbeiter an, denn ausweislich der Regelungen von § 3 Abs. l und 2 AufhebG sollte das tatsächlich erzielte und in der Sonderversorgung verbeitragte Einkommen -nämlich soweit 60 M monatlich übersteigend vollständig über die FZR -berücksichtigt werden. Die tatsächliche statistische Durchschnittsrente eines DDR-Bürgers aus SV und FZR lag zum 30. Juni 1990 ganz in der Nähe der Mindestrente von 495 M nach RAG (Heine: Die Versorgungsüberleitung, Diss. 2002, Berlin 2003 S. 38 m.w.N.). Ein ausschließlich in der SV und seit März 1971 stets maximal in der FZR versicherter Werktätiger der DDR mit 45 Arbeitsjahren, der Verdienste nach Anlage 6 zum AAÜG bezog und am 1. März 1990 in Rente ging, erhielt eine Gesamtversorgung von 579 Mark am 30. Juni 1990 (SV-Rente: 480 M, FZR: 99 M). Der vom Gesetzgeber der DDR in § 3 Abs. 3 vorgegebene und dynamisierbare Grenzbetrag lag damit ca. 71 Prozent oberhalb einer Standardrente auf der Grundlage von Durchschnittsverdiensten. Der in § 3 Abs. 3 AufhebG bestimmte Maximalbetrag orientierte sich also gerade nicht an einer durch Durchschnittsverdienste erzielten Altersversorgung, sondern an einem deutlich darüber liegenden Wert. Demgegenüber ordnet § 7 Abs. l Satz l AAÜG in der Fassung des 2. AAÜGÄndG eine deutlich weitergehende Kürzung des bei der Rentenberechnung zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens an, so dass die nach den Vorschriften des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes und des SGB VI berechneten Renten von Angehörigen des MfS/AfNS hinter den im Aufhebungsgesetz für sie vorgesehenen Leistungen deutlich zurück bleiben. Dies ist jedenfalls für höher qualifizierte Berechtigte nicht zu rechtfertigen“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 31 f. )

Zitat 36: „… Gerade der Bezug des bundesdeutschen Rentenversicherungsrechts auf die individuelle berufliche Lebensleistung, wie sie sich im berücksichtigten Versicherungspflichtigen Verdienst widerspiegelt, verlangt die Beachtung der Differenzierungsregelungen zur Bewertung der individuellen Lebensleistung. Der Maßstab dabei ist deshalb ein strenger, weil der Gesetzgeber insoweit sehr starke Differenzierungen vornimmt. So hat er neben den (auslaufenden) Regelungen zum Schutz des qualifikationsbedingten Berufsstatus durch die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ein sehr stark ausdifferenziertes System zur Bewertung der Versicherungsleistung im Falle des Fehlens/Verlustes/Nichtberücksichtigens von Beitragsunterlagen geschaffen (§§ 256c Abs. 2, 256b SGB VI, FRG und BerRehaG sowie § 6 Abs. 5 AAÜG). An dieser Regelungsdichte muss er sich orientieren, wenn er einen umfangreichen Personenkreis mit einer sehr heterogenen Qualifikationsstruktur und sehr unterschiedlichen beruflichen Stellungen einer rentenrechtlichen Bewertung des Versichertenlebens unterwirft und sich dabei nicht oder nur begrenzt an den tatsächlichen Verdiensten orientieren will. Eine pauschale Gleichbehandlung von Ungelernten und Hochschulabsolventen führt angesichts dieses dichten Regelungssystems zu einer verfassungsrechtlich nicht zulässigen Pauschalierung/Generalisierung. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der hoch qualifizierten Betroffenen im Verhältnis zu gleich qualifizierten Versicherten außerhalb des betroffenen Bereiches, sofern die einheitlich pauschale Rechtsfolge eine deutliche Leistungsschmälerung gegenüber den anderen gleich qualifizierten Versicherten bedeutet. Dies gilt gerade auch innerhalb der von der Pauschalregelung Betroffenen unterschiedlicher Qualifikation und beruflicher Stellung. Auch wenn nicht unbedingt die Regelungsmethode und -dichte gewählt werden muss, die das Rentenrecht an ähnlicher Stelle vorsieht, erscheint eine völlig gleichschaltende Pauschalierung unzulässig. eine solche sehr grobe und völlig gleichschaltende Pauschalierung handelt es sich jedoch bei Anwendung einer einheitlichen Grenze in Höhe des Durchschnittsverdienstes, weil diese Grenze deutlich unter den sonst berücksichtigungsfähigen entgelten für höher qualifizierte Versicherte liegt und eine innerhalb des sehr umfangreichen betroffenen Personenkreises im Hinblick auf Qualifikation und berufliche Stellung unzulässige Nivellierung bewirkt. Den Kraftfahrer und den Arzt, die Schreibkraft und den Abteilungsleiter im Bereich der Buchhaltung oder des Personalwesens hinsichtlich der Leistungshöhe betragsmäßig gleich zu behandeln ist dem gegenwärtigen Rentensystem völlig fremd und bedeutet für höher qualifizierte Betroffene einen unzulässigen Eingriff.“  ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 33 f. )

Zitat 37: „… Da der Eingriff schon von der Anlage der Vorschrift her in erheblichem Ausmaß und Umfang besteht, kann er nicht unwesentlich sein; sonst hätte der Gesetzgeber die ihn anordnende gesetzliche Regelung unterlassen (müssen). Im Übrigen sind immer noch ca. 25.000 bis 30.000 Berechtigte mit höherer Qualifikation von entsprechenden Kürzungen betroffen; dies ergibt sich aus dem Verhältnis von Personen mit entsprechender Qualifikation zur Gesamtzahl der hauptberuflichen Mitarbeiter (ca. 27 % von ca. 100.000). 1989 waren ca. 91.000 Personen im MfS hauptberuflich beschäftigt (vgl. Giesecke a.a.O.), wobei dieser Betrag zu erhöhen ist, weil bis 1989 ja auch Angehörige des MfS ausgeschieden sind, für die die Regelung des § 7 AAÜG ebenfalls gilt (Berentung und andere Entlassungen; allein 1988 insgesamt 1.934 Personen - Giesecke a.a.O. S. 78). In dieser Anzahl auftretende Härten sind nicht mehr verfassungsrechtlich hinzunehmen (vgl. BVerfGE 100, l, wo bereits ca. 1000 Betroffene der Regelung von § 10 Abs. l Satz 2 AAÜG a.F. zu viel waren).“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 34 )

Zitat 38: „… Da der Eingriff in seiner Folge bei der Rentenberechnung pro Kalenderjahr ca. 0,7 Entgeltpunkte bei Hochschulabsolventen und bei Fachschulabsolventen ca. 0,34 Entgeltpunkte verwehrt (nach Anlage 2b SGB VI schwanken die maximal erreichbaren jährlichen persönlichen Entgeltpunkte zwischen 1,4720 [1974] und 1,8511 [1988]), ist er nicht unwesentlich, weil bei den meisten Betroffenen wie beim Kläger mehrere Jahre betroffen sind.“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 34 )

Zitat 39: „…Auch § 7 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. l AAÜG verfehlt das angestrebte Ziel. Die Regelung des § 7 Abs. 2 AAÜG ist in ihrer Rechtsfolge nicht mehr vom legitimen Zweck der Vorschrift gedeckt und deshalb nicht sachgerecht, soweit sie selbst bei höher qualifizierten Tätigkeiten von OibE nur den allgemeinen Durchschnittsverdienst zuerkennt. Die Kammer hält es für nicht nachvollziehbar, dass die Personen, die als OibE einen wirksamen (offiziellen) Arbeits- oder Dienstvertrag abgeschlossen hatten und diesen (jedenfalls nach außen) erfüllten, auch wenn dieses Beschäftigungsverhältnis durch das Dienstverhältnis mit dem MfS überlagert wurde, aus dem offiziellen Arbeitsverhältnis überhöhte Einkünfte bezogen haben sollen. Dies hätte der "Legende" der verdeckten Arbeit widersprochen. Sofern dennoch überhöhte Einkünfte bezogen wurden, muss es sich um zusätzliche Zuwendungen des MfS oder um Vergünstigungen, die mit dem offiziellen Arbeitsverhältnis verbunden waren, gehandelt haben. Der Ausschluss von zusätzlichen Zuwendungen des MfS durch eine entsprechende Regelung des AAÜG wäre nach Auffassung der Kammer nach den Zwecken der Entgeltbegrenzungen zulässig und wird bereits über § 6 Abs. 4 Satz l AAÜG gewährleistet. Ungerechtfertigte Vergünstigungen aus dem offiziellen Arbeitsverhältnis könnten nach einer verfassungskonformen Gestaltung des § 6 Abs. 2, 3 AAÜG ausgeschlossen werden. Darüber hinaus lässt sich nicht erkennen, dass die Begrenzung der aus der offiziellen Beschäftigung erzielten Entgelte überhöht gewesen sein könnten. Insofern ist ein erheblicher Personenkreis betroffen. Dies ergibt sich aus der Wertung des Gesetzgebers selbst, der eine ausdrückliche Regelung für die OibE in § 7 Abs. 2 AAÜG für erforderlich hält. Nach den Angaben von Giesecke dürften ca. 3.000 bis 4.000 Personen betroffen sein, denn 1983 waren 3.471 OibE für das MfS tätig und auch dort ist durch den Personalwechsel mit einer insgesamt höheren Zahl zu rechnen (die sich inzwischen evtl. durch Todesfälle wieder reduziert haben kann).“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 35 f. )

Zitat 40: „… § 7 Abs. l und 2 AAÜG verletzt auch das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) der von dieser Regelung Betroffenen… Die in der DDR erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen genießen den Schutz des Art. 14 Abs. l Satz l GG (BVerfGE 100, l, 32 ff. und 100, 138, 182). Rentenansprüche und -anwartschaften tragen als Vermögenswerte Güter auch die wesentlichen Merkmale verfassungsrechtlich geschützten Eigentums… Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz kommt den in der DDR erworbenen Rentenansprüchen und -anwartschaften aber nur in der Form zu, die sie aufgrund der Regelungen des Einigungsvertrages erhalten haben. (BVerfGE 100, l, 37) Auch für renten-versicherungsrechtliche Rechtspositionen gilt, dass sich die konkrete Reichweite der Eigentumsgarantie erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ergibt, die nach Art. 14 Abs. l Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist (vgl. BVerfGE 53, 257, 292). Der Gesetzgeber genießt dabei aber keine völlige Freiheit. Er muss vielmehr die grundsätzliche Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis, die zum Begriff des Eigentums gehören (vgl. BVerfGE 37, 132, 140), achten und darf diese nicht unverhältnismäßig einschränken…. Die Erstreckung der Beitragsbemessungsgrenze auf die überführten Leistungen ist durch die Entscheidung zugunsten der verfassungsrechtlich zulässigen Eingliederung in die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland vorgeprägt und könnte nicht entfallen, ohne dass das Rentensystem gesprengt würde. (BVerfGE 100,1, 40 f.) Darüber hinaus war der Gesetzgeber befugt, Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen von Angehörigen bestimmter Versorgungssysteme bei der Berechnung der Rente unberücksichtigt lassen, wenn sie nicht auf Arbeit und Leistung beruhten und deshalb überhöht waren. Insofern war er nicht an die bereits vom DDR-Gesetzgeber angestellten Regelungsprinzipien bei der Beseitigung ungerechtfertigter rentenrechtlicher Vorteile gebunden. Er hatte sich jedoch an den durch den Einigungsvertrag anerkannten Eigentumspositionen zu orientieren. In diese Positionen greift die Regelung des § 7 Abs. l Satz l AAÜG mit der Anlage 6 dadurch ein, dass sie bei der Bemessung der Rente nach dem SGB VI Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zwischen dem Durchschnittsentgelt und der Beitragsbemessungsgrenze gänzlich unberücksichtigt lässt, während sie für fast alle anderen Berechtigten zu berücksichtigen sind.“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 36 ff. )

Zitat 41: „… Soweit höher qualifizierte Berechtigte Kürzungen der berücksichtigungsfähigen Entgelte unter die Durchschnittswerte ihrer Qualifikationsgruppe hinnehmen sollen, betreffen diese Kürzungen keinesfalls überhöhte Entgelte (s.o.). Gerade für Hochschulabsolventen, die unabhängig vom Wirtschaftsbereich ihrer Tätigkeit ganz regelmäßig deutlich überdurchschnittliche Einkommen zu erwarten hatten, müssen die vom Einigungsvertrag respektierten noch deutlich überdurchschnittlichen Versorgungspositionen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie ein zulässiger Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG verlangt, beachtet werden. Da es sich um eine nicht unerhebliche Gruppe von Berechtigten handelt, ist eine pauschale Begrenzung auf allgemeindurchschnittliches Leistungsniveau auch nicht als proportional anzusehen. Insofern werden die Befugnisse zu grundsätzlich zulässiger pauschalierender Regelung auch bei Eingriffen in den Schutzbereich des Art. 14 GG überschritten.“ ( Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 26.04.04 – Sozialgericht Berlin S 18 RA 7460/01, Seite 38 )