Die „menschenunwürdige“ Verpflegung der Gefangenen in der DDR und andere Ungereimtheiten

in einem Diestel-Garten.

- Reflexionen zum Buch: „ Diestel -  Aus dem Leben eines Taugenichts?“ -

 

„Wer schweigt, scheint zuzustimmen“ (Bonifatius 1235 – 1303)

 

Es ist in der Geschichte des Adels nicht selten anzutreffen, dass die Sprösslinge ihre Gedanken durch andere zu Papier bringen ließen. Oft waren die Schreiber klüger als ihre Herren. Aus so manchem wurden große Dichter und Denker. Dies trifft auf den vorliegenden Fall nicht zu. Nun ließ auch der letzte Innenminister der DDR seine Erlebnisse aus 174 Tagen Amtszeit von fremder Hand aufschreiben. Das Diestel dafür einen Journalisten der „Super-Illu“, im Volksmund „Bildzeitung des Ostens“ genannt, auserwählte, spricht eigentlich für sich: Reißerisch, oberflächlich, ungenau, beleidigend und zeitgeistliche Verdrehungen der Wahrheit. Aber auch viele lobende Beurteilungen von bekannten Persönlichkeiten zur Person des Peter-Michael Diestel. Das ist natürlich kein Eigenlob, denn es haben andere gesagt und andere aufgeschrieben.

 

Ich selbst gehöre zu den Menschen, die noch unter Diestel für Diestel gearbeitet haben. Ich gehöre auch zu den vielen tausenden, die ihn wegen seiner Haltung und sein Eintreten für Gerechtigkeit achten. Das Buch enthält eine Fülle von Einschätzungen und politischen Wertungen, denen ich voll zustimme. Die klaren Aussagen zum unrühmlichen Umgang mit den Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR, besonders mit denen des Ministeriums für Staatssicherheit, und der miesen Rolle der Stasiunterlagenbehörde und der Treuhand sind beeindruckend. Aber zu einigen Aussagen und Behauptungen im Buch kann ich nicht schweigen.

 

Diestel hat versucht, im reißenden Weststrom gegen die Brandung zu schwimmen. Was hat er damit erreicht? Aufmerksamkeit, Achtung, vielleicht Nachdenken. Aufhalten wollte auch er den Lauf der Bonner Gewässer nicht. Die Strömung, in die die Ostdeutschen gerissen wurden, vermochte auch er nicht in geregelte Bahnen zu lenken.

 

Beim Lesen des Buches „Diestel – Aus dem Leben eines Taugenichts“ habe ich vergebens versucht herauszufinden, was er für die Angehörigen seines Ministeriums erreicht hat. Ja, er hat die Wachtmeister, Offiziere und Generale des MdI nicht gleich bei Amtsantritt entlassen, wie es sein Kollege vom Außenministerium tat. Er hat sie alle noch 174 Tage für sich und die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit im Lande beschäftigt. Danach aber waren alle arbeitslos. Es gab keine Auffanggesellschaften, keine Umschulungsbetriebe oder Eingliederungsverträge. So vollmundig, wie er sein Amt antrat, so kleinlaut verließ er das Innenministerium. Die Entlassungsurkunden überreichte den Generälen Staatssekretär Dr. Stief.

 

Sein Eintreten für die Volkspolizisten im Lande war entscheidend dafür, das Bild, was die bundesdeutsche Presse zum VOPO gezeichnet hatte, einer Korrektur zu unterziehen. Dies, und die fachliche Kompetenz der Volkspolizisten trugen dazu bei, dass einige hunderte Wachtmeister und Offiziere  in die Polizei der neuen Bundesländer übernommen wurden, jedoch  ohne Anerkennung Ihres Dienstgrades.

 

Als Chef der Deutschen Volkspolizei und zugleich Stellvertreter des noch amtierenden Ministers für innere Angelegenheiten Ahrendt, hatte ich die Aufgabe Diestel bei seiner Amtsübernahme am Haupteingang des Ministeriums zu empfangen und zum Minister zu begleiten. Außer dem Protokolloffizier war sonst keiner am Empfang beteiligt. Wir trugen die normale Dienstuniform. Er wurde also nicht „..von zwei Generälen in voller Ordensmontur empfangen.“(S.90) Die protokollarische Ehre in Uniform mit angelegten Orden empfangen zu werden, gab es nur an Staatsfeiertagen, zum Tag der Volkspolizei und zu Ehren des Staatsoberhauptes der DDR. Als Diestel aus der Honecker-Limousine ausstieg, meldete ich ihm: „Herr Minister, das Ministerium ist zur Übergabe bereit. Minister Ahrendt erwartet Sie in seinem Dienstzimmer. Es meldet Chefinspekteur Winderlich, Chef der Deutschen Volkspolizei.“ Dann führte ich ihn durch das menschenleere Ministerium bis ins Vorzimmer von Minister Ahrendt. Außer dem diensthabenden System war das Ministerium menschenleer, es war ja nach 22 Uhr und vor einem Feiertag. Es ist deshalb reine Phantasie, wenn im Buch steht:

“Unvergeßlich ist für Diestel, der sich ohne Begleitung nie und nimmer in diesem Labyrinth zurechtgefunden hätte, dass sogar die Zivilisten, die neugierig auf den Fluren wuselten, um einen Blick auf den Neuen zu erhaschen, die Hacken zusammenknallten und die Hände an die Hosennaht legten.“(S. 90)

 

Seit der Übernahme seines Amtes als Minister des Innern in der Modrow-Regierung ging Lothar Ahrendt in Zivil. Er veranlasste auch die Trennung von der Doppelfunktion Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei. Er war der Minister und ich der Chef der DVP, und zugleich sein Stellvertreter.

Lothar Ahrend war ein sehr korrekter Mensch, zielstrebig und sensibel. Bilder beweisen, dass er immer gut gekleidet war und ich weiß, er trug auch Maßanzüge. „Er (Diestel) geht auf seinen Amtsvorgänger zu, der da im schlecht sitzenden Präsent-20-Anzug vor ihm steht, und er fragt sich im Stillen, warum so viele Militärs immer ein wenig hilflos und beinahe mitleidserregend verloren wirken? Diestel schaut Ahrendt gerade in die Augen, gibt ihm die Hand und bittet ihn ins Ministerbüro.“(S.90) Ich weiß nicht ob nur Diestel Ahrendt gerade in die Augen geguckt hat und Ahrend verschämt nach der Seite. Aber ich weiß, dass es der Amtsvorgänger war, der den Neuen ins Ministerbüro bat, denn der wusste zur der Zeit gar nicht, welche Tür dahin führt. Ich verstehe nicht, warum man seinen Amtsvorgänger auf solch eine Art mies machen muss? In einem persönlichen Gespräch hat mir Lothar Ahrendt 2010 bestätigt, dass er 1990 keinen Präsent-20-Anzug getragen hat.

 

Schon kurz nach dem Wahlausgang im März 1990 wurde mit der Vorbereitung der Übergabe des Ministeriums begonnen. Jedes Mitglied des Kollegiums erarbeitete für sein Verantwortungsbereich einen Auskunftsbericht mit genauen statistischen Angaben zum Ist-Zustand in den Hauptrichtungen. Daraus wurde dann durch den Stab eine Gesamtanalyse für den Minister zur Übergabe des Ministeriums erarbeitet. Die Materialien waren sehr genau, wir wollten uns später nicht irgendetwas unterjubeln lassen. Es stimmt einfach nicht, wenn im Buch behauptet wird, wir hätten keinen Überblick über die Waffen gehabt. Immerhin gingen wir davon aus, dass nach der Übergabe die Kollegiumsmitglieder entlassen werden.

 

 Was zum Kollegium auf S. 91 steht, stimmt so keinesfalls. Zum Kollegium gehörten:

 

-         Der Chef der DVP und Stellvertreter des Ministers, Chefinspekteur Dieter Winderlich

-         Der Stellvertreter des Ministers für Bereitschaften, Kampfgruppen, Feuerwehr, Strafvollzug und Innere Angelegenheiten, Generalinspekteur Karl-Heinz Schmalfuß

-         Der Chef des Stabes, Chefinspekteur Egon Grüning

-         Der Leiter der Versorgungsdienste, Chefinspekteur Hartwig Müller

 

Ein Kollegiumsmitglied Namens Helmar Wunderlich (S. 91) gab es im MdI nicht.

 

Diestel übernahm ein, vor allem durch den Antifaschisten, Spanienkämpfer, sowjetischen Kundschafter und Innenminister Friedrich Dickel geformtes,  gut funktionierendes Ministerium und eine zentral geführte Volkspolizei. Auch nach Diestels Dienstantritt funktionierte alles auch ohne den neuen Minister weiter. Der wurde über die Osterfeiertage nicht gesehen oder bemerkt. Auch in der Folgezeit war eine straffe Führung, wie wir sie gewöhnt waren, durch Diestel nicht spürbar. Er hatte so viele neue Aufgaben zu bewältigen (Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Auflösung der Staatssicherheit, Volkskammersitzungen usw.) und natürlich die Auftritte vor den Medien.

 

Getreu der eigenartigen Linie des Buches, muss auch ein anderer Amtsvorgänger Diestels, Innenminister Dickel, in ein mieses Licht gerückt werden. Da Fakten fehlen, wird unbewiesener Tratsch noch weiter verbreitet: „So hatte einer meiner Vorgänger im DDR-Innenministerium eine Geliebte. Die empfing er immer im Separee hinter seinem Arbeitszimmer. Das hatte eine Tür, die war nur von innen und damit von ihm zu öffnen (S. 114).

„Im Übrigen ging es bei diesem Besuch bei Generalleutnant Friedrich Dickel auch nicht um irgendwelche Seitensprung-Geschichten (S. 115).

 

Zu dem so genannten Separee möchte ich richtig stellen: Der Minister  hatte hinter  seinem Dienstzimmer einen Ruheraum mit Sanitäreinrichtungen. Aus diesem Ruheraum führte eine Tür in den Flur des besonders gesicherten Ministerbereich. In diesem Bereich waren die Dienstzimmer des

1. Stellvertreters des Ministers, des Leiters des Büros des Ministers und des Adjutanten. Dieser Ministerbereich war ständig verschlossen und mit einer Wechselsprechanlage versehen. Wollte jemand zum Minister, meldete er sich bei dessen Sekretärin an und sie öffnete per Knopfdruck die Eingangstür zum Ministerbereich. Wie da die angebliche Geliebte unbemerkt ins Separee gelangen sollte, bleibt ein Rätsel. Der Dienstgrad von Minister Dickel war 1989 nicht Generalleutnant, sondern Armeegeneral.

 

Nach der Übernahme des Innenministeriums durch Diestel wurde die Arbeit des Kollegiums eingestellt. Es gab weder eine kollektive Beratung, noch eine Orientierung für alle Kollegiumsmitglieder. Der neue Minister beriet sich immer nur mit den Generälen, die für die jeweilige Sache zuständig waren. Orientierungen zu wichtigen Fragen gab  Minister Diestel auf der im Buch beschriebenen Dienstversammlung mit Führungskadern des MdI am 24.04.1990, bei der er als Köder seinen Vater präsentierte, und auf Dienstversammlungen mit den Chefs der BdVP.

 

Eine ziemlich sinnlose Aufgabe war die Umstrukturierung des Ministeriums.

„Ich hatte schließlich einerseits Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten und andererseits das gesamte Ministerium so zu strukturieren, dass es später nahtlos in den Westapparat integrierbar war (S. 94). Es muss doch auch Diestel klar gewesen sein, dass nach dem Beitritt der DDR zur BRD ein Innenministerium der DDR nicht in den Westapparat integriert werden wird. Diese Umstrukturierung war eine sinnlose Beschäftigungsmaßnahme und zog sich bis zum Sommer 1990 hin. Da mussten die Strukturen und Aufgabenstellungen westdeutscher Innenministerien studiert werden. Danach wurden für den jeweiligen Verantwortungsbereich Aufgabenstellungen, Stellenpläne und Besoldungen erarbeitet und vor dem Leiter der Zentralabteilung und einem Westberater verteidigt usw. Als alles fertig war, wurde das Innenministerium der DDR abgewickelt. Ich habe mich nur gewundert, mit welcher Energie sich einzelne Leute für diese sinnlose Aufgabe einsetzten. Vielleicht brauchten sie eine nochmalige Machtbestätigung. Wichtig wäre es doch gewesen, sich darüber Gedanken zu machen, was mit den Mitarbeitern des MdI nach ihrer „Abwicklung“ wird. Diesbezüglich gab es keinen Plan zur Umschulung, keine Auffanggesellschaft oder … Es gab nichts. Von 2400 Beschäftigten des MdI als Dienststelle wurden nur 120 vom Bundesinnenministerium übernommen.

2280 wurden abgewickelt und arbeitslos.

 

Für mich gab es Anfang Mai ein Ereignis, welches mir klar vor Augen führte, dass Diestel die alten Generäle nur benötigt, damit die Ordnung und Sicherheit im Lande weiter gewährleistet wird. Ansonsten hatten wir nach Innen eine Alibifunktion und für Diestel waren wir Auskunftsobjekte zu polizeilichen Fachfragen. Ansonsten war unsere Meinung, von Einzelfällen abgesehen, nicht gefragt.

 Eines Tages Anfang Mai rief mich  gegen Mittag der Büroleiter Diestels an und informierte mich, dass ich um 15 Uhr mit dem Minister zu einer Beratung nach Westberlin fahren soll. Ich fragte worum es da geht und ob es irgendwelche Dokumente gibt. Er wusste nur, dass es um die polizeiliche Zusammenarbeit geht und der neue Staatssekretär, Chefinspekteur Müller ebenfall mitfährt. Auch Müller wusste nicht worum es geht und Diestel war nicht erreichbar.

Im Rathaus Schöneberg tagte die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern der BRD und hatte einen Tagesordnungspunkt zur deutsch-deutschen Zusammenarbeit vorbereitet. Als wir ankamen, verschwand Diestel ohne ein Wort der Orientierung zu seinen Ministerkollegen. Ein Mitarbeiter des Orgbüros fragte uns, ob wir zu den Beratungen der A oder B-Länder wollen. Müller und ich schauten uns an und verstanden die Frage nicht. Wir wurden aufgeklärt, dass die A-Länder die CDU regierten Länder sind und die B-Länder die mit SPD-Regierung. Wir gingen also zu der Beratung der A-Länder. Dort hatte jeder eine Vorlage in der Hand, nur wir aus der DDR nicht. Den Entwurf einer Vereinbarung zwischen den Innenministerien von Bund und Ländern mit dem der DDR bekamen wir mit Verzögerung. Nach sehr kurzer Aussprache (die BRD-Seite hatte sich ja schon im Vorfeld auf den Text verständigt) sollte zugestimmt werden. Uns gefielen solche allgemeinen Formulierungen nicht, wie: „ eine rechtliche und organisatorische Angleichung der Polizeiarbeit..“.

Heißt das nur Übernahme westdeutscher Bedingungen oder kann auch die DDR etwas einbringen? Ich ging zum Vorsitzenden der Runde und bat um eine Auszeit, damit wir uns mit Minister Diestel beraten können. Die Antwort war niederschmetternd: „Das ist nicht nötig. Minister Diestel hat bereits zugestimmt.“

 

Eine „Angleichung“ der Polizeiarbeit in rechtlicher und organisatorischer Hinsicht gab es nicht. Es ging von Anfang an nur um die Übernahme der westdeutschen Regelungen. Das musste auch Diestel damals begriffen haben, denn es kam später bis zum Beitritt zu keiner Übernahme von Erfahrungen in der polizeilichen Arbeit der DDR durch die andere Seite. Diesbezüglich kann Diestel nicht ein einziges Ergebnis vorweisen. Mir ist auch nicht bekannt,

 

 

dass er es versucht hat. Weder das bei den Bürgern anerkannte ABV-System, noch das effektiv arbeitende Kriminalistische Institut wurden übernommen.

Selbst die bewährten Polizeistrukturen in Berlin Ost wurden nach dem Beitritt zerschlagen, um die Führungskader „wegen Strukturveränderungen“ zu entlassen. Danach kehrte man zu den Strukturen der Volkspolizei-Inspektionen unter anderem Namen zurück.

 

Wer Diestel kennt, der weiß ja, dass er dazu neigt schnell und salopp etwas daher zu sagen. So gesehen könnte man über seine Aussagen zum Strafvollzug in der DDR hinwegsehen. Nun handelt es sich hier aber um ein Buch, welches von Diestel im Jahr 2010 autorisiert ist und da gelten andere Maßstäbe.

 

Eine Aussage zum Strafvollzug finden wir auf Seite 106: „VP-Bereitschaft, Zoll, Strafvollzug und Abwicklung der Kampfgruppen schienen im Grunde zu laufen.“  Auf Seite 175 lesen wir aber: „Zudem war mir gleich nach Amtsantritt

deutlich geworden, dass der DDR-Strafvollzug rettungslos veraltet und die Zustände chaotisch waren.“ Eine der Aussagen ist offensichtlich falsch. Aber lesen wir weiter: „Die Häftlinge lebten unter unmenschlichen und nicht zeitgemäßen Lebensbedingungen. Das hatte ich mir in meinen schwärzesten Träumen nicht ausgemalt“…..“ 

 

Nun wissen wir aus dem Buch, dass Diestel mehrfach auf Dächer von Haftanstalten geklettert ist, um meuternde Gefangene zu beruhigen. Ich gehe mal davon aus, dass Diestel dabei  zum ersten Mal einen Knast von Innen gesehen hat. Die vielen Gitter und Schlösser, dicke Mauern und kleine vergitterte Fenster, schwere Türen mit Riegeln, gespannte Netze über den offenen Etagen und ein typischer, eigenartiger Geruch – das kann einen Menschen schon durcheinander bringen. Aber aus dieser Perspektive gewinnt man keine wesentlichen Erkenntnisse zum Strafvollzug.

 

Was ist ein „rettungslos veralteter“ Strafvollzug? Meint Diestel das Rechtssystem Strafvollzug oder die Gebäudesubstanz? Da er dann weiter von „unmenschlichen Lebensbedingungen“ schreibt, meint er wohl das Gesamtsystem Strafvollzug. Unter einem „veralteten“ oder rückständigen Strafvollzug versteht man die Reduzierung der Verbüßung einer Freiheitsstrafe auf das Wegsperren und die Isolation von der Außenwelt. Durch Isolation, strenge Zucht und Langweile sollte der Gefangene im Kaiserreich durch Buße und Beten geläutert werden. Was nach der Haft kam, interessierte niemanden. Gut nachzulesen in der Autobiografie von Karl May.

 

Im Strafvollzug der DDR war dies nicht so. Hier stand die Resozialisierung durch gesellschaftlich-nützliche Arbeit im Mittelpunkt. Der Gefangene hatte ein Recht auf Arbeit. Durch das Arbeiten außerhalb der Vollzugseinrichtungen in Volkseigenen Betrieben der verschiedensten Wirtschaftszweige und durch die Anleitung bzw. auch gemeinsame Arbeit mit den Arbeitern dieser Betriebe wurde die Isolation von der Außenwelt minimiert. Das Gesetz der Evolution „Die Arbeit formt den Menschen“, wurde beachtet. Vom Haftbeginn an drehte sich schon das Rad der Wiedereingliederung. Jeder entlassene Gefangene bekam von den örtlichen Räten einen Wohnraum und einen Arbeitsplatz vermittelt.

 

Die zuständigen Organe der UNO fanden dieses System modern und zeitgemäß.

Weder bei den alle vier Jahre stattfindenden Kongressen der UNO über Kriminalitätsbekämpfung und Behandlung von Strafrechtsverletzern, noch vor dem Antifolterausschuss gab es Kritik. Ich habe persönlich im April 1989 an der Europäischen Regionalkonferenz  zur Vorbereitung einer solchen Konferenz in Helsinki teilgenommen und die Anerkennung der in der DDR geleisteten Arbeit gespürt. Bereits 1988 besuchte eine Delegation eines UNO-Unterausschusses verschiedene Vollzugseinrichtungen der DDR und fand den Strafvollzug ebenso fortschrittlich, wie Gorbatschows Innenminister Bagatin, den ich im Sommer 1989 persönlich durch Einrichtungen des Strafvollzuges  führte.

 

Da Diestel nur die Untersuchungshaftanstalt Leipzig und die Strafvollzugseinrichtung Brandenburg flüchtig gesehen hat, könnte er mit „rettungslos veraltet“ die Gebäudesubstanz meinen. Aber waren alle Strafvollzugseinrichtungen so? Die in den Innenstädten liegenden Untersuchungshaftanstalten gab es schon in der Weimarer Zeit. Die Bausubstanz war also alt und der Aufwand zur baulichen Erhaltung enorm. Erst die DDR hat in diesen Anstalten das Kübelsystem abgeschafft, Toiletten und Sanitäreinrichtungen in allen Zellen installiert.  Eine alte Bausubstanz wiesen auch die großen Strafvollzugseinrichtungen auf, wie Brandenburg, Bützow, Torgau, Waldheim u. a. Auch sie stammten aus der Kaiserzeit und werden z. T. auch heute noch genutzt. Bei diesen alten Gebäuden gab es einige kleine Untersuchungsanstalten, die in einem schlechten baulichen Zustand waren und in absehbarer Zeit geschlossen werden sollten (z.B. UHA Neuruppin). Die Planungen für Neubauten waren fertig, wurden aber nicht planwirksam.

 

Mehrere Strafvollzugseinrichtungen waren im Stil von Arbeiterwohnlagern als Steinbaracken gebaut (z.B. Schwarze Pumpe, Regis,  Unterwellenborn, Rüdersdorf). Schon die Namen weisen daraufhin, dass sie neben großen Industriekombinaten erbaut wurden. Diese Strafvollzugseinrichtungen waren Eigentum der Kombinate und Betriebe, wurden von denen instand gehalten, modernisiert und erweitert. Das MdI, Verwaltung Strafvollzug, war in den Objekten Mieter. Sie waren nicht „rettungslos veraltet“. Der Lyriker Berd-Dieter Hüge verbüßte 1968 in solch einer Vollzugseinrichtung (Rüdersdorf) eine Freiheitsstrafe und schreibt in seinem Buch „Mein Knastbuch“ auf S. 69:

„Wir wurden in eine Baracke geführt. Es war die Aufnahmebaracke, und sie machte auf mich nicht den Eindruck einer Gefängnisunterkunft. An den langen Mittelgang schlossen sich die Schlaf- und Aufenthaltsräume an, am Ende des Ganges waren die Toiletten und der Waschraum. Die Fenster hatten keine Gitter und die Türen waren nicht verschlossen. Alles war sauber, es roch nach Bohnerwachs.“

Und dann gab es noch eine Reihe von Strafvollzugsobjekten, die erst nach 1970 neu erbaut wurden, wie z.B. Jugendstrafanstalt Wriezen und Halle ( beide mit einem kompletten Schulgebäude und Turnhalle), Jugendstrafanstalt Hohenleuben, Strafvollzugsabteilung Berlin-Grünau. Strafvollzugseinrichtung Raßnitz, Strafvollzugseinrichtung Karl-Marx-Stadt.

 

Ich war von 1970 – 1974 Leiter der Jugendstrafanstalt Wriezen und weiß, worüber ich berichte. Die Bedingungen der Unterbringung, der Oberschule, der Berufsausbildung und der medizinischen Versorgung der jugendlichen Strafgefangenen waren besser als im Territorium des Kreises Bad Freienwalde. Dies bestätigte der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED, Gen. Buchholz, bei einem Besuch der Haftanstalt und stellte mir die Frage: Wie soll ich dies der Bevölkerung erklären?

 

Bei dieser differenzierten Bewertung des baulichen Zustandes der Vollzugseinrichtungen bleibt aber unterm Strich, dass die Schwierigkeiten und Mängel bei der Altbausanierung in der DDR auch auf den Strafvollzug durchschlugen, da halfen auch die Eigeninitiativen nicht immer. Dennoch:

Weder das Rechtssystem Strafvollzug, noch die gesamte Bausubstanz des Strafvollzuges der DDR waren „rettungslos veraltet“.

 

Damit ist die erste Diestel-Blüte verwelkt und eingegangen. Wenden wir uns der zweiten zu: Diestel behauptet, ohne es zu beweisen, dass die Häftlinge unter unmenschlichen Lebensbedingungen lebten. Bei diesem Stichwort fallen mir eigentlich nur die Lebensbedingungen der Gefangenen der USA in Guatanamo

und im Irak ein: Menschen mit Kapuze überm Kopf, an Händen und Füssen gefesselt, Sprechverbot und keinerlei rechtliche Reglungen für ihr Dasein.

 

Was ist nun unter „unmenschlich“ zu verstehen? Eine klare Definition ist nicht zu finden. Im „English Collins Dictionary“ findet man unter „inhumanity“ folgende Definition: Extrem grausame Handlungen kann man als unmenschlich bezeichnen. Auf der Webseite der Rechtsanwälte Wagner und Halbe fand ich folgendes: „ Das Tatbestandsmerkmal „unmenschlich“ soll zum Ausdruck bringen, dass mit menschenverachtender, rücksichtsloser, roher oder unbarmherziger Gesinnung gehandelt wird…“  Auf Diestels Behauptung bezogen würde dies heißen: Die Lebensbedingungen der Häftlinge, welche im Strafvollzugsgesetz, den Durchführungsbestimmungen und der Hausordnung festgelegt waren, erwiesen sich als menschenverachtend, rücksichtslos, roh und unbarmherzig.

 

Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe war, wie in jedem Land, auch in der DDR eine in vieler Hinsicht belastende Zwangsmaßnahme des Staates. Der Mensch wurde in seinem Willen und in seinen Freiheitsrechten eingeschränkt. Er konnte nicht mehr tun und lassen, was er wollte. Er musste sich den Regeln und Anordnungen des Personals fügen. Wer das erste Mal zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in eine Vollzugseinrichtung kam, war schon erschrocken darüber, dass er sich nackt ausziehen musste und ein Bediensteter in allen seinen Körperöffnungen suchte. Eine psychologisch deprimierende Angelegenheit. Beim Empfang der Gefangenenbekleidung dann der zweite Schock: Alte, umgefärbte Uniformen mit einem gelben Streifen auf dem Rücken. Was nicht richtig passte, musste sich jeder selbst passend machen. Mit dem Bekleidungsbündel auf dem Rücken ging es dann in den Verwahrbereich. War man in einer Strafvollzugseinrichtung, die früher als Haftarbeitslager nahe an Industriebetrieben erbaut waren, hatte man es günstiger. In diesen Steinbaracken waren die Fenster nicht vergittert und die Türen unverschlossen. Kam man aber

in eine Einrichtung, die in der Weimarer Zeit ein Gefängnis war, wurde man mit neuen, düsteren Eindrücken erschlagen. Jede Gang, jede Tür war verschlossen, die kleinen Fenster recht hoch in der Nähe der Decke angebracht  und vergittert. Wenig Tageslicht kam herein. Und dann die kollektive Unterbringung in großen Zellen mit 20 und mehr Insassen. Jeder hatte nur ein Bett (in der Regel Doppelstockbetten) und ein Fach im offenen Kleiderspind. Es gab keine Möglichkeit sich für sich zurückzuziehen. Immer war ein anderer Gefangener zugegen und durch die Guckfensterchen (genannt Spion) in Tür und Wand schauten manchmal noch die Strafvollzugsbediensteten zu. Bei so viel Menschen auf engem Raum gab es jede Menge sozialer Konflikte untereinander und auch Demütigungen, ja auch Schikanen von Mitgefangenen. Der Tagesablauf war vom Schichteinsatz in der Produktion abhängig, begann in der Regel um 4.30 mit dem Wecken und endete zwischen 20 und 21 Uhr. Immer gab es was zu tun, nie konnte man faul Rumsitzen. Viele empfanden die militärische Organisation im Strafvollzug und den militärischen Ton als belastend.

 

Die Bedingungen der Unterbringung der Gefangenen im Strafvollzug der DDR waren nach dem Produktionsprinzip bestimmt. Wer zusammen in einer Brigade arbeitet, sollte auch zusammen in zusammenhängenden Verwahrräumen untergebracht werden. In der Regel waren dies ein großer Schlafraum mit Doppelstockbetten, ein Aufenthaltsraum mit einem Kleiderspind für jeden und Waschraum mit Toiletten. Mit 20 Leuten in einem Schlafraum zu leben, war schon sehr belastend, aber beim Militär war es ja ähnlich. Die zeitweilige Überbelegung (Anstieg Verurteilungen nach § 213 StGB) verschärfte die Situation noch.

 

Im Zuge der Delegitimierung der DDR wird gerne die Unterbringung im Strafvollzug der DDR mit der im Vollzug der BRD verglichen. Dabei kommt natürlich die BRD besser weg, weil im Strafvollzugsgesetz von 1976 die

Einzelunterbringung festgelegt ist. Diese Regelung ist zwar aus ökonomischen Gründen bis heute noch nicht voll durchgesetzt, aber doch die Regel. Natürlich wohnt jeder Mensch lieber im Einzelzimmer, anstatt im Mehrbettzimmer. Aber deshalb ist doch die Gemeinschaftsunterbringung nicht unmenschlich.

 

Im Strafvollzugsgesetz der DDR von 1977 ist zur Unterbringung in § 42 festgelegt:“(1) Die Unterbringung der Strafgefangenen erfolgt grundsätzlich gemeinschaftlich. Sie soll die weitere Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein sowie positive gesellschaftliche Verhaltensweisen, wie Gemeinschaftsgeist, Hilfsbereitschaft und gegenseitige Achtung, fördern.“

Da gegen stehen in der kapitalistischen Institution Strafvollzug der Individualismus, das sich behaupten und die Abschottung.

 

Seitens der UNO gibt es keine Dokumente, die vom Strafvollzug der Mitgliedländer die Abschaffung der Gemeinschaftsunterbringung der Gefangenen und die Einführung der Einzelhaftzellen fordern. Es ist deshalb absurd die Gemeinschaftsunterbringung in der DDR als eine Verletzung der Menschenwürde zu bezeichnen.

 

Um die Bedingungen im Strafvollzug der DDR ins schlechte Licht zu rücken, bedienen sich manche Selektivhistoriker und Opfervereine seltsamer Forschungsmethoden. Sie befragen nur „politische“ Gefangene und ignorieren die Meinung der normalen Strafgefangenen. Im Strafvollzug der DDR ehemals Beschäftigte oder Arbeiter der Arbeitseinsatzbetriebe werden nicht gehört. So bekommt man natürlich erwünschte Ergebnisse und verkauft die als objektiv und wissenschaftlich. So geschehen z. B. bei der Beurteilung der Haftsituation in der Strafvollzugseinrichtung Cottbus.

 

Als der Beitritt zur BRD bereits vollzogen war, entschloss sich der Berliner Senat die Vollzugseinrichtung Rummelsburg zu schließen und die Gefangenen auf andere Berliner Anstalten zu verteilen. Daraufhin besetzten Gefangene wieder das Dach und protestierten gegen eine Verlegung in „Drogenknäste“ Westberlins. Sie wollten die Bedingungen des Strafvollzuges der DDR nicht hergeben. Diesmal kam kein Innenminister oder Bürgerrechtler aufs Dach geklettert. Ob sie wollten oder nicht, sie landeten mit Gewalt in Moabit. 

 

Wenn die Lebensbedingungen der Häftlinge in der DDR unmenschlich gewesen wären, hätte der neue Innenminister Diestel sofortige Veränderungen anweisen  und gegen die Verantwortlichen Anzeige erstatten müssen. Da nichts geschah, war seine Behauptung wohl leichtfertig und von Unwissenheit geprägt. Dabei gibt es doch schon zwanzig Jahre Bücher von ehemaligen Gefangenen, die ihre nicht leichten Haftbedingungen beschreiben. Aber von unmenschlichen Lebensbedingungen liest man dort ebenso wenig, wie auf der Webseite des Sächsischen Justizministeriums zum Thema Strafvollzug in der DDR.

 

Die zweite Diestel-Blüte ist damit ebenfalls entblättert und verwelkt. Wenden wir uns der dritten zu: Diestel behauptet, dass mit einem Verpflegungssatz von 3,50 Mark der DDR keine  menschenwürdige Verpflegung“  möglich war.

„Der ursprüngliche Verpflegungssatz der Häftlinge wurde zwar Anfang Dezember 1989 von 1,10 DDR-Mark auf 3,50 und ab 4. Juli auf 4 DM erhöht, aber das reichte noch längst nicht aus, um eine menschenwürdige Verpflegung zu gewährleisten.“(S. 175)

Dies ist eine tolle Geschichtsfälschung. Der Satz besagt doch eindeutig, dass der Verpflegungssatz bis Dezember 1989 1,10 DDR-Mark betragen hat. Und jeder Leser weiß genau, dass man damit keinen Menschen einen Tag ernähren kann. Wie böse waren doch die Schergen in der DDR, die die Gefangenen hungern ließen und nicht menschenwürdig ernährten. Die Gefährlichkeit dieser Geschichtsfälschung liegt auch darin, wer solche falsche Behauptungen aufstellt.

Wenn dies ein so genannter Historiker der Stasiunterlagenbehörde macht, geniest man es mit Vorsicht. Wenn dies aber der letzte Innenminister der DDR sagt, dem der Strafvollzug unterstand, dann muss es wahr sein. Denkste!

 

Tatsache ist aber, dass die Grundnorm seit 1979 2,40 Mark der DDR betrug (Ordnung Nr. 0103/77 des Ministers des Innern und Chefs der DVP/Teil D in der Fassung vom 28. September 1979). Es gab nicht den Verpflegungssatz für Inhaftierte, sondern mehrere Arten von Verpflegungssätzen, so z. B. für nicht arbeitende Inhaftierte (Grundnorm), für arbeitende Inhaftierte, für schwerstarbeitende Inhaftierte, für Inhaftierte in medizinischen Einrichtungen des Strafvollzuges und für schwerstkranke Inhaftierte. Im o. g. Dokument beträgt die Grundnorm 2,40 Mark der DDR, die Zulage für arbeitende Inhaftierte 0,45 Mark, für schwerstarbeitende 1,00 Mark  und für Strafgefangene mit religiöser Ernährung 1,20 Mark der DDR. Um es noch mal zu verdeutlichen: Ein Gefangener, der Schwerstarbeit verrichtete, hatte einen Verpflegungssatz von 3,40 M und ein Moslem oder Jude 3,60 M und dies schon seit 1979! Denen, die der DDR immer eine Benachteiligung religiöser Menschen ins Stammbuch schreiben, kann ich nur sagen, dass es so eine großzügige finanzielle Reglung bei der Verpflegung im Strafvollzug der BRD nicht gibt.

Die nächste Erhöhung der Verpflegungssätze für Inhaftierte erfolgte im Bereich MdI zum 1. Januar 1990 und im Bereich des MfS bereits 1987. („Reglung der Verpflegungsversorgung für Verhaftete und Strafgefangenen in den UHA des MfS“ vom 1987).

Wenn es im Strafvollzug der DDR keine menschenwürdige Verpflegung gab, was gab es dann?  Gab es Schweinefraß, Hundefutter, Abfälle oder mussten die Gefangenen Gammelfleisch und dioxinverseuchte Nahrung zu sich nehmen?

 

Die politische Gefangene Gabriele Stötzer, die 1977 eine Freiheitsstrafe in der Strafvollzugseinrichtung Hoheneck verbüßte,  schreibt dazu in ihrem Buch „Die bröckelnde Festung“: „Essen gibt es immer genug, Kartoffeln, Soße und Gemüse können als Nachschlag geholt werden”, sagte Karla. “Zum Frühstück gibt es Brot und Sirup, manchmal Marmelade, dafür immer ein kleines Stück Butter.”

Sie setzten sich an einen der langen grauen Tische mit ebenso langen Holzbänken. Karla wies auf den Kiosk, der mit seinem Fenster in den Essenssaal reichte und in der Mittagspause geöffnet hatte. Hier konnten die Gefangenen für Knastgeld, das aus Scheinen mit einem Stempel der Strafvollzugsanstalt bestand, einkaufen. Neben Kosmetikartikeln, Obst, Zigaretten, Kuchen, Süßigkeiten, Brötchen, Milch, Quark, Vitamintabletten oder Brause auch Papierbons, für die man sich, da es zu jeder Brotmahlzeit nur Malzkaffee gab, Bohnenkaffee oder schwarzen Tee holen konnte. Außer in der Nachtschicht, da gab es besseres Essen: Leber, alle sechs Wochen ein gegrilltes Hähnchen..”(S. 35).

 

Um die Verpflegungssätze für Gefangene in der DDR und heute nach ihrer Kaufkraft bewerten zu können, fehlen konkrete Zahlen. Jedes Bundesland hat seine eigenen Festlegungen und Gesamtbewertungen fehlen. Zugänglich waren mir Zahlen aus Bayern. Dort betrug der Verpflegungssatz 2010 2,19 €.

 

Schauen wir beispielhaft hin, was pro Gefangenen verabreicht werden konnte:

 

                                                  DDR                                   Bayern

                                           Preise in Mark                            Preise in €

1989                                     2010

________________________________________________________________

 

500 g Roggenbrot                     0,31                                      1,20

100 g Schweinefleisch               0,75                                      0,61

100 g Jagdwurst                        0,68                                      0,60

  50 g Margarine                        0,20                                      0,14

100 g Zucker                            0,15                                      0,07

100 g Nährmittel                       0,15                                      0,09

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                                               2,24   Mark                          2,71    Euro

Da der Verpflegungssatz in Bayern von 2,19 € überschritten ist, beende ich die beispielhafte Aufzählung. Wie man sieht, gibt es kaum Unterschiede. Diese Zahlengegenüberstellung geht natürlich an den tatsächlichen Verhältnissen etwas vorbei. Ich habe die Position Butter weggelassen, weil in Bayern für Gefangene mit Normalkost keine Butter vorgesehen ist. Beachtet werden muss auch, dass die eigentliche Kaufkraft beider Verpflegungssätze  wesentlich höher ist, da die Vollzugseinrichtungen nur Großhandelspreise bezahlen, Rabatte erhalten und durch eigene Veredlung Geld sparen.

 

Bei der Bewertung der Verpflegungsversorgung der Inhaftierten in der DDR muss beachtet werden, dass in der Regel kaum einem Gefangenen durchgehend nur die Grundnorm zustand, da sie ja alle arbeiteten.

 

Die 1. Durchführungsbestimmung zum Strafvollzugsgesetz der DDR bestimmte in § 54:

„(1)Die Gemeinschaftsverpflegung für Strafgefangene besteht aus mindestens 3 Mahlzeiten, von denen eine als warme Mahlzeit zu verabreichen ist.

(2) Im Drei- und durchgehenden Schichtsystem arbeitende Strafgefangene erhalten während jeder Nachtschicht zusätzlich zu der in Absatz 1 genannten Verpflegung eine warme Mahlzeit.

(3)Die außerhalb von Strafvollzugseinrichtungen und Jugendhäusern in Arbeitseinsatzbetrieben oder gleichgestellten Einrichtungen zur Arbeit eingesetzten Strafgefangenen bzw. in der Berufsausbildung befindlichen Jugendlichen erhalten an allen Arbeitstagen Werkküchenessen.“

 

Die Strafvollzugseinrichtungen verabreichten das Essen in einem ordentlichen Zustand. Dies bedeutet nicht, dass es in Einzelfällen auch Mängel gab. Schließlich bestand das gesamte Küchenpersonals aus Gefangenen, die sich große Mühe gaben, aber nicht immer die geforderte Qualifikation hatten. Das Mittagessen wurde  täglich vom Leiter der Vollzugseinrichtung oder dem Leitungsdienst probiert und das Ergebnis dokumentiert. Eine Portion jeder Mahlzeit wurde aus Gründen des Gesundheitsschutzes 24 Stunden gekühlt aufgehoben. In jeder Einrichtung gab es eine Küchenkommission der Gefangenen, die auf die Gestaltung des Speiseplanes Einfluss nahm. Der medizinische Dienst überprüfte regelmäßig die Einhaltung der Hygienevorschriften. Große Einrichtungen, wie Brandenburg u. a. hatten eine eigene Bäckerei, Fleischerei und Gärtnerei. Man kaufte kein Brot, keine Wurst und weniger Gemüse und sparte Geld für andere Nahrungsmittel. Viele Volkseigene Betriebe, in denen Strafgefangene arbeiteten, gaben direkt im Betrieb ein kostenloses Mittagessen aus, was sie aus dem Sozialfond finanzierten. Wenn die Planerfüllung in Gefahr war, wurden auch die Gefangenen bei Sonderschichten mit einem besonders guten Essen bei Laune gehalten.

 

Wie im zivilen Leben auch, so gingen die persönlichen Wertungen der Gefangenen über die Qualität des Essens auseinander. Aber menschen-

unwürdig empfand niemand die Versorgung im Strafvollzug. Natürlich gab es auch Versuche von Gefangenen, den Strafvollzug mit Manipulationen am Essen und falschen Behauptungen in Misskredit zu bringen. In der Einrichtung Berlin-Rummelsburg  z. B. fand ein Gefangener angeblich Rattenfleisch in der Suppe und es gab ein mächtiges Geschrei. Die Fleischprobe wurde zur Begutachtung ins Kriminalistische Institut geschickt und entpuppte sich als ein Stück Fleisch vom Rüssel eines Schweins, an dem noch ein paar längere Haare wuchsen. Das Beispiel zeigt, jeder Beschwerde wurde nachgegangen.

 

Damit wäre die dritte Diestel-Blüte entblättert und ebenfalls verwelkt und wir können alle drei  auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Bedauerlich ist nur, dass Diestel mit diesen Aussagen den Knabes und Co. einen unerwarteten und vielleicht auch unbeabsichtigten Dienst erweist.

 

 

Dieter Winderlich

19.01.2011