Paul Bergner

Die Waldsiedlung

Geschichten über „Wandlitz“. Ein Sachbuch

(Basdorf 2012)

272 Seiten, zahlreiche Dokumentarfotos

Preis: 13,50 € ( zuzügl. 3-- € Versandkosten )

Bezug über FB-Verlag Gisela Bergner, Anemonenweg 8

16348 Wandlitz OT Basdorf

oder: www.wandlitz@gmx.de

 

„In der Wendezeit trieb ein gewaltiges Suchbedürfnis Neugierige, Interessierte und auch selbsternannte Chefinquisitoren durch die Wandlitzer Gegend. Teils sachlich, nüchtern, eben einfach neugierig und interessiert, teil süffisant und mit dem unerschütterlichen Glauben an die eigene „Vernehmerschlauheit“ versehen und manchmal auch beleidigend, provokant wurden Fragen an die Wandlitzer gestellt. Und je nach der Art und Weise der Frage oder auch der Stimmungslage des Befragten wurde ihnen auch ein Weg gewiesen. Die einen landeten dann ordnungsgemäß an den Toren der ehemaligen Waldsiedlung, die ja vor Schreck gleich Waldfrieden geheißen ward, und andere fanden sich auf einer Müllkippe in der Nähe wieder.

Es kann sein, dass sie einen Hinweis falsch verstanden oder dass sie einen ihrem Benehmen angemessenen Ort gefunden hatten“, schreibt der Autor in seinen Vorbemerkungen.

Inzwischen heißt die Waldsiedlung wieder Waldsiedlung.

Paul Bergner legt eine „Geschichte über Wandlitz“ vor im Wissen darum, dass er in ziemlich alle Fettnäpfchen tritt, die das Thema eben hergibt, egal, wer sie im Einzelnen aufgestellt hat, tabuisieren möchte oder wer sie bedient. In sehr geradliniger und aufrichtiger Problemdarstellung, unbeschadet jeweilig zu vermutender Erwartungshaltung potentieller Leser und in seinem Bemühen um Sachlichkeit und Neutralität liegt der Reiz seiner Darstellungen. „Aufrichtig zu sein, kann ich versprechen, unparteiisch zu sein, aber nicht“, sagte Goethe ( Maximen und Reflexionen 184 ). Dem Verfasser scheint dieser Gedanke durchgängig Pate gestanden zu haben, und dafür gebührt ihm sowie den ehemaligen Kollegen und Mitarbeitern, die mit ihm gemeinsam diese Darstellung tragen, rückhaltlos Respekt und Anerkennung. Das ungebrochene Interesse am Thema wird dadurch belegt, dass hier bereits eine sechste Auflage vorgelegt wird.

 

Der Verfasser beschreibt Aufbau, Betrieb und Auflösung der Siedlung und versucht auch die frühere Soziologie des Lebens in ihrem Areal darzustellen. Berichtet werden sehr lebhaft Geschichten zur Geschichte, die überliefert wurden. Man muss das ggf. nachlesen und sicher nach sachadäquater Wertung suchen. Bergner macht aufmerksam, dass die Bewohner selbst durchaus ein distanziertes Verhältnis zu dieser Wohnanlage bekundeten. „Alle früheren Bewohner“, schreibt er, „vermissten ....ein Zusammengehörigkeitsgefühl, bedauerten nach dem Umzug  in dieses Areal entschwundene früheren Treffen und Gespräche“. 

„Trotz intensiver Suche fand sich kein einziges Zitat eines ehemaligen Bewohners der Waldsiedlung, dass er gern, freiwillig oder zumindest  ohne >inneren Widerwillen< dort gewohnt hätte“ ( S. 53 ).

Der Quintessenz des Autors allerdings, in Wandlitz „Ergebnis, Symbol und Auswirkung einer verfehlten Politik“ sehen zu wollen, vermag man nicht zu folgen. Ich halte eine solche Wertung allenfalls für eine zwar nachvollziehbare, dennoch aber überhöhte Fehlinterpretation, die sicher Emotionen und den Zeitgeist bedient, wissenschaftlicher Wertung aber kaum  standhalten wird.

 

Was er über die Waldsiedlung hinaus an Jäger-,  Bunker- und sonstigen Geschichten zu vermelden hat, gehört sicher unerlässlich zum Thema. Dankenswerterweise müht sich der Autor mit Erfolg, Küchentratsch und Realität zu sortieren. Viele „Geschichten“ stellen sich im Lichte sachlicher Prüfung als so banal dar, dass schon 1989/ 90 staatlich verordnete Prüfungsgremien  - anfangs jedem Mediengeheul aufgesessen – bald jegliches Interesse an der Sache verloren. Ärger und manch Unverständliches, ja Peinliches  bleibt dennoch - wie schon zuvor - gehört aber  schon aus Gründen der Redlichkeit des Schreibens über solchen Platz dokumentiert zu werden.     

Dem Buch liegen gründliche Recherchen zugrunde, wovon auch ein sorgsam geführter Quellennachweis und ein gründliches Fußnotenverzeichnis zeugen.

 

Bemerkenswert und redlich ist der Entschluss, dem Text neben Gesprächsprotokollen aus der Recherche und Zeugenbefragungen früherer Personale eine als „Zeitleiste 1946 – 2004“ bezeichnete sachbezogene Auflistung gesellschaftlicher Ereignisse beizufügen, die das Geschehen um die Waldsiedlung und seine Bewohner übergreifend in gesellschaftlichem Umfeld zu betrachten anregt. Erwähnenswert auch die Beifügung einer sehr sachlichen, wissenschaftlichem Anspruch genügenden informativen Kurzbiographie zu jedem der ehemaligen Bewohner der Siedlung, dessen Funktion und Persönlichkeit bestimmend für die dortige Wohnsitzzuweisung gewesen war.   

Von besonderem Interesse ist auch die Vielzahl dokumentierter Kunstwerke und bedauerlich die Nachricht von manchem Verlust durch dumpfen Vandalismus in der Wendezeit.

 

Gewiss gibt es nicht wenige Zeitgenossen beiderseits ideologischer Gräben im Lande, die dem Autoren diese oder jene Darstellungsweise verübeln mögen ( auf die „Fettnäpfchen“ wurde eingangs hingewiesen ). Das mag einfühlbar, muss aber nicht begründet sein. Der Autor ist glücklicherweise so hinreichend selbstbewusst und sachkundig, dass ihn das nicht weiter anficht. Er weiß um die Erfahrung, dass nicht nur im alten Griechenland der Bote verprügelt oder gar erschlagen wurde, der unangenehme Nachrichten zu überbringen hatte, - er kann damit umgehen.

 

Der Rezensent lobt also den Boten, dankt ihm mit Respekt für seinen beachtlichen Beitrag zu zeitgeschichtlicher Dokumentation und tritt ihm zur Seite. Wenn hier und da manches in den falschen Hals geraten sollte, ist das weniger dem Verfasser anzulasten. Es kann das auch am jeweiligen Hals liegen, - man müsste das am Einzelfall prüfen.

Manch offene Frage wird allerdings letztlich wohl erst zu beantworten sein, wenn weder zeitliche noch persönliche Nähe zum Stoff den Blick für eine ausgewogene Problemsicht zu verstellen vermag und auch Dokumenteneinsicht in spezielle Archive - auch außerhalb des DDR – Bereichs  - möglich geworden ist.   

 

Prof. Dr. Horst Bischoff